Wehe, wehe, blut’ge Brüder!
Wehe, wehe, blut’ges Thal!
Beide Kämpfer stürzen nieder –
Einer in des andern Stahl.
Viel Jahrhunderte verwehen,
Viel Geschlechter deckt das Grab;
Traurig von des Berges Höhen
Blickt das öde Schloß herab.
Aber nachts am Thalesgrunde
Wandelt’s heimlich, wunderbar!
Wenn da kommt die zwölfte Stunde,
Kämpfet dort das Brüderpaar.
Es ist allgemein bekannt, daß dieses schöne, viel gesungene Gedicht sich bezieht auf die Burgen Sternberg und Liebenstein. Der rheinische Dichter spricht aber nur von einer, nicht von zwei Burgen. Die Sage ist an und für sich etwas ausführlicher, als Heine sie hier erzählt, und wenn auch in der Erzählung, wie wir sie hier folgen lassen, vielleicht nicht Alles echt volkstümlich ist, so ist es doch gewiß, daß der Name „die feindlichen Brüder“ den einander gegenüberliegenden beiden Rheinburgen selbst gegeben, und daß daraus die Sage vielleicht erst entstanden ist.
Die bedeutendste Krümmung, welche der Rhein zwischen Bingen und Koblenz überhaupt macht, zeigt sich etwas vor dem Einflusse der Lahn Boppard gegenüber. In dieser Gegend befinden sich, jedoch nicht auf dem linken, sondern auf dem rechten Ufer des Rheines die Burgruinen Sternberg und Liebeneck und etwas südlich davon das Kloster Bornhofen.
Auf der alten Burg Sternberg wohnte ein Ritter, der hatte zwei Söhne von sehr verschiedener Gemütsart. Nach dem Tode seiner Burgfrau pflegte ihn eine Verwandte, zu der seine beiden Söhne ihrer Schönheit wegen von heißer Liebe erfaßt wurden. Zwar hatte es anfänglich geschienen, als würde sie dem ältesten die Hand reichen. Als aber der jüngere heranreifte, kehrte sie sich völlig von dem älteren ab und wandte sich dem jüngeren zu.
Der ältere Bruder war ernst, der jüngere leichtfertig. Jener sah, daß er sich keine Hoffnung auf Gegenliebe machen könne. Darum nahm
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/128&oldid=- (Version vom 1.8.2018)