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Mäusen zu fehlen pflegt, so daß das Piepen der Mäuse in einer wohlgefüllten Scheune sonst für den Erntesegen des Jahres wohl das beste Zeugnis ablegt.

Als aber die Scheuer soeben geschlossen worden war, hinkte noch eine alte Frau am Stocke daher, die um etwas Mehl bitten wollte. Sie hörte diese Worte des Bischofs und wünschte ihm dafür, daß die Mäuse all sein Mehl und sein Korn und dann ihn selbst fressen sollten.

Ihre Verwünschung wurde erfüllt. In der Scheune, wo der Bischof die Menschen hatte verbrennen lassen, zeigten sich während der Nacht Scharen von Mäusen, die sich bald über alle Scheunen, Kornspeicher, Mühlen und Mehlkammern verbreiteten. Der Bischof selbst konnte sich ihrer nicht erwehren, denn sie drangen in sein Schlafgemach ein, ließen ihm durch ihr Geknusper in der Nacht keine Ruhe und hüpften bald auch im Speisezimmer auf seiner fürstlichen Tafel umher.

Bischof Hatto erinnerte sich jetzt an die Verwünschung der Alten und es ward ihm bange für sein Leben. Er ließ seinen Baumeister kommen und befahl ihm den Mäuseturm mit mehreren Gemächern und einer Schlafkammer ganz freistehend in die Wellen des Rheins bei Bingen zu bauen, wo der Rhein am wildesten flutet. Durch keinerlei Brücke sollte er mit dem Lande verbunden sein. Wollten die Mäuse ihn dann nach dem Mäuseturme verfolgen, so sollten sie alle im Rheine ertrinken. Mit Vergnügen beobachtete er nun die Mäuse, welche seine Diener in der Mausefalle fingen und in einen Eimer mit Wasser warfen. Eine Zeit lang schwammen sie aufgerichtet wie die Tanzbären im Wasser hin und her, sperrten den Mund auf wie eine Karpfenschnauze und versanken bald darauf tot im Wasser. So sollte es seinen Feinden, den Mäusen, auch im Rheine ergehen, wenn sie ihm nach dem Mäuseturme folgen wollten.

Als der Mäuseturm fertig war, ließ er sich an einem schönen Sommerabende hinüberschaffen. Er schaute bei Sonnenuntergang hinaus auf den Rhein und freute sich über seine Schiffe, die noch mit Korn oder Mehl beladen nach den nächsten Städten vorbeifuhren, damit die Bäcker, die ihm schweres Geld für die Ladung bezahlten, am andern Morgen die Binger mit Gebäck versehen konnten. Zufrieden schaute er auf die großen Wellen, welche den Mäuseturm umspielten und jede Woge kam ihm wie ein Panzer

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)