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61. Die Kaufmannsfrau als Oberst.


Es war ein Kaufmann in einer Stadt, der war sehr vermögend, verliebte sich in die Magd des Rathskellerwirthes, der ein Hagestolz war, und heirathete sie. Als seine Gattin hielt er sie gar hoch in Ehren, und nachdem sie ihm ein Knäblein geboren hatte, wurde er um so zärtlicher gegen sie und brachte ihr von der nächsten Messe ein kostbares Halsgeschmeide mit. Einige Zeit darauf saß der Kaufmann einmal des Morgens im Rathskeller und hatte sein Glas Wein vor sich stehen, da setzte sich der Wirth zu ihm und sprach: ob denn ihm wol seine Frau so treu bleibe, wenn er zur Messe reise, und ob er so rechten Glauben zu ihr hätte. Der Kaufmann antwortete: Zu der habe ich den völligen Glauben. Nun fängt der Gastwirth an: er wolle Alles verwetten, daß auch er die Liebe der Kaufmannsfrau genießen werde. Der Kaufmann antwortet: er setze sein ganzes Vermögen dagegen ein, daß der Wirth sein Weib nicht zur Untreue verführen könne. Nun, nun, erwidert der Gastwirth, Frauensleute sind wankelmüthig, und das könnte doch wol der Fall sein.

Nun ging in jener Stadt der Rath auch mitunter in sich und bedachte, wo man einen Guten trinkt, und dabei fiel dann das Auge desselben immer gleich auf den Rathskeller daneben und mit Recht: denn alle Leute waren darüber einig, daß dort der Wein viel besser sei als der Wirth, ja daß in der ganzen Stadt kein so guter Wein mehr geschenkt werde als im Rathskeller. Wie gesagt, darüber waren alle Leute in der Stadt einig, und ein ordentlicher Magistrat schwimmt nun einmal

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_179.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)