Sich an eine gute, dem Organismus wertvolle Sache „gewöhnen“, ist ein Merkmal „geistiger Schwäche“. Den Wert einer Sache immer und immer wieder in gleicher Intensität empfinden können, ist ein Merkmal „geistiger Spannkraft“!
Mein wunderbarer seidener Regenschirm! Meine unverwüstlichen amerikanischen Schuhe! Mein ideales Opernglas! Meine süsse anmutige Frau!
Der alte Schreiblehrer F. war eine Künstlernatur.
Er sagte: „Sie sollen nicht meine Schrift erlernen, sondern die Ihrige! Rasch, ohne Bedenken, weite Striche, vorwärts, leben Sie sich aus auf dem Papiere, vor, nur vor!“
Es ist nicht gut, wenn man dem Genie ausserhalb seiner
„genialen Funktionen“ noch anmerkt, dass es ein
Genie sei! Kraftvergeudung rächt sich irgendwo!
Genialität. „Ich glaube es nicht,“ sagt die
blinde Helen Keller, „dass, ohne mich zu
überheben, jemals ein Sehender einen so tiefen Genuss
von der Edelrose haben könnte wie ich, wenn ich sie mit
meiner Innenhand umfasse und ihren Duft in mich
hineintrinke!“
Peter Altenberg: Pròdromos. Berlin 1906, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prodromos_(Altenberg).djvu/131&oldid=- (Version vom 1.8.2018)