Seite:Prinzessin Ilse (Marie Petersen).pdf/26

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Marie Petersen: Prinzessin Ilse

es erspähen konnte. — Und dann zeigten sie ihm ein kleines Loch im Boden, und da machte es sich dünn und schlüpfte hinein und fand in dem weichen Erdpolster, welches das steinerne Gerippe des Berges an jener Seite bekleidete, einen langen Gang, den einst ein Feldmäuschen gegraben haben mochte. Die kleine Ilse tappte sich im Dunkeln darin fort und fühlte, daß der Kanal allmälig bergab führte. Eine gute Strecke war sie schon leise dahin geschlichen, als der Gang sich erweiterte und uneben wurde; er schien zwischen losen Felsgeröll dahin zu führen; einzelne Steine lösten sich unter ihren Tritten und rollten vor ihr in die Tiefe. Noch immer glitt sie in tiefer Nacht dahin; aber von oben herab durch die Steine dringend, traf sie dann und wann ein scharfer Luftzug, – und als der Pfad, nachdem er sich schneller und schroffer bergab gesenkt, plötzlich ganz aufzuhören schien, da öffnete sich das Gestein über ihr, und sie sah den klaren Nachthimmel und noch ein paar Sternlein daran, die einen matten Schein herab fallen ließen und ihr ein wirres Durcheinander von großen und kleinen Steinen zeigten, auf denen kein Weg mehr zu erkennen war. Zugleich schallte wieder die wilde Musik, das Kreischen und Pfeifen der tanzenden Hexen vom Brockenberg in ihr Ohr, und die kleine Ilse, die einen Augenblick gezaudert hatte und nicht gewußt, wohin ihren Lauf lenken, stürzte bei diesen Tönen, von Angst gejagt, in athemloser Hast springend und laufend über die Steine dahin. Sie hatte es nicht Acht, ob sie überall an die harten Felsstücke anprallte, ihr Köpfchen stieß und ihr Kleidchen zerriß. „Fort, fort“, flüsterte sie, „weit hinweg, wo nicht der Brockenfürst und seine wilden Scharen mich erspähen können!“

Das aufdämmernde Morgenlicht machte ihr große Sorge. „Die Nacht ist still und verräth mich nicht“, dachte sie; „aber der geschwätzige Tag, der wird’s bald

Empfohlene Zitierweise:
Marie Petersen: Prinzessin Ilse. Alexander Duncker, Berlin 1857, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prinzessin_Ilse_(Marie_Petersen).pdf/26&oldid=- (Version vom 1.8.2018)