Seite:Posse Band 5 0228.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Siegel. Doch läßt sich schon häufig daraus, daß der Urkunde ein Siegel aufgedrückt ist, nachdem man zum Hängesiegel übergegangen war[1], und umgekehrt, die Unechtheit eines Dokumentes nachweisen. Oft wird sich die Fälschung der Urkunde und ihres Siegels gar nicht erkennen lassen, wenn diese einer dem Aussteller nahe liegenden Zeit entstammt, und das Siegel mit einer Matrize vom Originalabdrucke hergestellt wurde[2].

Als Material zur Herstellung von Matrizen, die über Originalsiegeln geformt wurden, sind offenbar, wie in der neuesten Zeit, zu Abformungen, auch im Mittelalter Gips, Lehm oder Ton und Schwefel verwendet worden. Die Verwendung des letzteren ergibt sich aus dem Fälscherprozeß, der in Breslau 1364 gegen den Knappen Johann von Schellendorf spielte (S. 142).

Weniger eignen sich nach von mir angestellten Untersuchungen Lehm oder Ton. Die mit ihm hergestellten Matrizen zeigen im trockenen Zustande einen bedeutenden Rückgang in der Größe des abgeformten Gegenstandes und Risse.


  1. Vgl. S. 146f.
  2. MR 771 (746). Ludwig der Fromme. Fälschung 11. Jahrhundert, mit einem Siegel, das echt sein kann oder doch Abguß eines echten ist. Sickel, Acta 2, 421.
    St. 546 (II, Taf. 34, 5) Otto I. Fälschung Ende des 10. Jahrhunderts. Das Siegel künstlich befestigt, Abguß eines echten (I, Taf. 7, 1). Vgl. S. 106.
    St. 1802 (II, Taf. 38, 3). Heinrich II. Nachzeichnung 12. Jahrhundert. Das Siegel scheint eine etwas stumpfere, wohl durch Abguß vom echten Siegel hergestellte Nachbildung des Siegels Heinrichs II. (I, Taf. 11, 3) zu sein. Vgl. S. 110.
    St. 2779 (II, Taf. 43, 2). Heinrich IV., dessen Siegel – Kaisersiegel an Urkunde der Königszeit – mit Matrize vom Original hergestellt ist, bedarf einer eingehenderen Untersuchung. Es sind hierfür heranzuziehen: 1. St. 2779 (II, Taf. 43, 2) Heinrich IV. 1074 Juni 29 (Or. Dresden, Meißn. Dep.), gleichen Inhalts mit No. 5. Vgl. S. 115. 2. St. 2901. Heinrich IV. 1090 Febr. 14 (Or. ebendas.). 3. St. 2909 (II, Taf. 44, 1). Heinrich IV. 1091 Mai 17 (Or. ebendas.). Vgl. S. 115 4. St. 2927 (II, Taf. 44, 2). Heinrich IV. 1095 Febr. 13 (Or. ebendas.). Alle für Stift Meißen. Vgl. S. 115f. 5. St. 2997. König Rudolf für Stift Meißen 1079 März 25 (abgeb. Sybel und Sickel a. O. Taf. II. 28).
    Breßlau, N. Archiv 6, 553 und Urkundenlehre 1, 666. 679 hat die Siegelfälschungen von No. 1 und 3 nicht erkannt. Nach ihm hatte Heinrich IV. im Jahre 1074 (No. 1) dem Bischof von Meißen eine Schenkungsurkunde verliehen. Später schloß sich der Bischof dem Gegenkönige Rudolf an und erwirkte von diesem im Jahre 1079 eine Bestätigung jener Verleihung (No. 5). Bei dieser Gelegenheit sei die der Kanzlei Rudolfs eingereichte Urkunde des Saliers irgendwie kassiert worden. Wiederum nach einer Reihe von Jahren, nach dem Tode Rudolfs, kehrte der Bischof in die Obedienz Heinrichs zurück, und es wurde ihm nun, wahrscheinlich im Jahre 1091, eine Neuausfertigung jener Urkunde von 1074, so vermutet Breßlau, erteilt. Dabei behielt man das Protokoll des Diploms von 1074 bei, ergänzte die fehlenden Jahresangaben, so gut es ging, durch Zurückrechnung, freilich in recht mangelhafter Weise, nannte als Intervenienten den Bischof Rutpert von Bamberg, der erst im November 1075 zur Regierung gekommen war, und versah das Diplom mit dem zum Jahre 1074 natürlich in keiner Weise passenden Kaisersiegel. Soweit Breßlau. Letzterer ist, wie gesagt, in seiner Beweisführung dadurch irre geführt worden, daß er die Siegel von No. 1 und 3 nicht als Fälschungen erkannte, sonst würde er nicht für die Originalität gewisser Urkundenteile von No. 3 und 4 eingetreten sein. Breßlau nimmt nämlich an, daß No. 1 seinem ganzen Umfange nach von einem Kanzleibeamten geschrieben worden sei, den er mit der Chiffre Humbertus A bezeichnet und dessen Tätigkeit er vom August 1089 bis zum Februar 1095 [St. 2899, 2900, 2901 (hier No. 2), 2927 (No. 4)] verfolgt hat. Von St. 2909 (No. 3) und St. 2927 (No. 4) soll H. A. mindestens einige Teile geschrieben haben. Sicherlich nicht zu bestreiten ist, daß von ihm St. 2901 (No. 2), 2914 und 2918 geschrieben sind. St. 2899 und St. 2900, wo das Eschatokoll von ihm herrühren soll, habe ich nicht gesehen, für die uns hier interressierende Frage haben beide Urkunden keine Bedeutung. „Bei No. 1 (St. 2779) tritt“, nach Breßlau, „die Schriftgleichheit, namentlich in der Datierungszeile mit voller Evidenz hervor, im Text in der ersten Zeile und in den Subskriptionen steht es No. 3 (St. 2909) nahe, weicht aber doch bei aller Gleichheit des allgemeinen Schriftcharakters in einzelnen Formen ab.“ Was zunächst die Siegel anlangt, so ist das von No. 1 hergestellt nach dem Abdrucke eines echten Kaisersiegels Heinrichs IV. 7 (I, Taf. 17, 3). Man vergriff sich und nahm statt des Königs- das Kaisersiegel. Der wenig scharfe Abdruck ist eingelassen in eine c. 30 mm starke, plumpe, unreine Wachsmasse, der Siegelzapfen, den oberen Teil des Umschriftkreuzes beseitigend, ist nachträglich eingeschnitten. Die Siegel von No. 3 und 4 sind noch gröbere Fälschungen nach Heinrich IV. 8 (I, Taf. 17, 4) und Heinrich IV. 7 (II, Taf. 17, 3). Was nun die Schrift von No. 1 anlangt, so hat sie weder in den Protokoll- noch Textteilen etwas gemein mit der Schrift von Humbertus A. Hier rekognosziert Adalbero, der in der Zeit vom 7. Oktober 1069 bis 23. Mai 1076 nachweisbar ist. Jedenfalls dürfte No. 1 in Nachahmung der Schrift vom Eingangsprotokoll und von Rekognitionszeile z. B. St. 2750 1071 Dez. 11 (Or. Dresden, Meißn. Dep. 6), einer von Adalbero rekognoszierten Urkunde, näher stehen, als einer von H. A. (Vgl. auch Sybel und Sickel a. O. Text S. 34.) Als Vorlage für den Text hat No. 5 gedient, da No. 1 in der zweiten Hälfte der dispositio genau mit No. 5, namentlich in der Pertinenzformel, wo in beiden das sonst ungewöhnliche laicis ceterisque aquarum decursibus begegnet. Da nun das Itinerar von No. 1 unanfechtbar ist, so muß dem Fälscher eine echte Urkunde, nur nicht eine von der Hand des H. A., sondern aus der Zeit des Kanzlers Adalbero, der bisher vom 7. Oktober 1069 bis 23. Mai 1076 nachweisbar ist, vorgelegen haben, dem er wenigstens die Rekognition und Datierung entnahm. Man glaubte wohl, der Besitz der Schenkung werde ein sicherer und unanfechtbar sein, wenn diese von dem rechtmäßigen Könige Heinrich IV. und nicht von dem Schattenkönige Rudolf gemacht sei. Freilich passen in der Datierung weder Regierungsjahr, noch Indiktion zu 1074, das Ordinationsjahr fehlt ganz. Auffällig ist auch, daß als Intervenient Bischof Rupert von Bamberg in der Urkunde aufgeführt wird, während er doch erst 1075 Nov. 13 eingesetzt worden ist. Vgl. Posse, Markgrafen von Meißen 175 Anm. 65. Böhmer, Reg. 1869 setzt deshalb unsere Urkunde ins Jahr 1076, wonach das Regierungsjahr 20 richtig und nur die Indiktion falsch sein würde. Und zu 1076 paßt das Itinerar ebenso gut wie zu 1074, denn für den 29. Juni (= der Tagesangabe von No. 1) 1076 hatte Heinrich IV. eine Fürstenversammlung nach Mainz berufen (Meyer v. Knonau, Jahrb. Heinrich IV. u. V. 2, 679 und 681). Über den Aufenthalt in Mainz 1074 wissen wir nur, daß dem Könige am 8. Juni durch den Erzbischof Sigfrid ein glänzender Pfingstempfang bereitet wurde, daß Heinrich IV. noch am 12. Juni (St. 2778) in Mainz geurkundet hat. Auf Grund von No. 1 nimmt nun Meyer von Knonau a. O. 399, der mit Breßlau die Urkunde für eine Neuausfertigung hält, an, daß Heinrich IV. noch am 29. Juni mit den in der Urkunde als Intervenienten genannten Fürsten in Mainz geweilt habe. Ein so langer Besuch der Stadt ist aber um so auffallender, als andere Quellen darüber nichts zu berichten wissen. Aus meinen Ausführungen dürfte sich ergeben, daß No. 1, das sich nicht als Neuausfertigung, sondern als Fälschung auf Grund einer echten Vorlage erweist, als Vorlage eine Urkunde mit dem Datum 29. Juni 1076 für die Protokollteile, No. 5 für den Textteil benutzt hat. Die Amtstätigkeit des Kanzlers Adalbero, der nach der Wahl des Gegenkönigs Rudolf (1077 März 26) in dessen Dienste trat, und als dessen Kanzler in No. 5 auftritt, war für die Kanzlei [228] Heinrichs IV. bisher nur bis zum 23. Mai 1076 (St. 2792) zu erweisen, es würde also auch unsere als verloren gegangen erwiesene Urkunde vom 29. Juni 1076 noch von ihm rekognosziert gewesen sein. Weshalb, ob aus Versehen oder mit Absicht, der Fälscher von No. 1 die Jahreszahl in 1074 umänderte, läßt sich nicht feststellen. Wie willkürlich er mit den Zahlen umging, erhellt daraus, daß er die Indiktion um zwei Einheiten falsch ansetzte.
    Anders als mit No. 1 verhält es sich mit No. 3 und 4. No. 3 ist rekognosziert vom Kanzler Humbert, der 1089 Aug. 14 bis 1101 Juli 1, No. 4 vom Kanzler von Italien, Burkhard, der 1079 Juli 23 bis 1087 Sept. 13 sein Amt verwaltete. Von einer Anlehnung bez. Nachahmung der Schrift von H. A. kann keinesfalls die Rede sein. Und wenn die Worte der ersten Zeile des Textes von No. 3 (notum – nostre) eine ängstliche, ungeschickte Nachahmung, namentlich in den Abbreviaturzeichen verraten, so ist da die Annahme nicht ausgeschlossen, daß der Schreiber sich an No. 2, von der Hand des H. A., angelehnt und auch die Rekognitionszeile diesem entnommen hat, worauf die zackige Form des a, und zwar nur diese allein, schließen läßt. Auch mit der Fälschung No. 4 hat No. 3 nur diese Form des a gemeinsam. Doch dürfte schon mit Rücksicht auf die zum Itinerar passende Datierung „Mantue“ eine gleichfalls von H. A. herrührende, jetzt verlorene Urkunde für die Fälschung No. 3 als Vorlage gedient haben und ebenso bei Herstellung von No. 4, mit der Rekognition des Burkard, Kanzlers für Italien, und der Datierung Berne (Verona?) Wo soll der Fälscher aber, den wir in Meißen zu suchen haben, seine der Zeit nach passenden Rekognitonen und Datierungen hergenommen haben, als von Urkunden, die ihm damals im Stiftsarchive zugänglich waren, jetzt jedoch verloren sind? Vom Jahre 1074 ab bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts sind uns Schenkungsurkunden der Kaiser für das Stift Meißen nur sieben Stück (St. 2779 (No. 1), 2997 (5), 2901 (2), 2909 (3), 2927 (4), 3024, 3029) erhalten, jedoch läßt sich nur für drei (St. 2901, 2997, 3029) die Echheit erweisen. Auf die Mitte des 12. Jahrhunderts, als die Zeit der Entstehung der Fälschungen und auf Meißen als Fälschungsort, weist der allgemeine Schriftduktus von No. 1, 3 und 4 hin, für No. 4 ist im Text eine sicher dem 12. Jahrhundert angehörende Bücherschrift verwendet worden. Für No. 1 ist die Absicht der Fälschung, wie erwähnt, leicht zu erkennen, man wünschte ein unanfechtbareres Dokument als die Verbriefung der Schenkung durch einen Schattenkönig zu haben. Offenbar sind die Fälschungen nach dem Verfall der Burgwarte entstanden. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts löste sich allmählig die alte Militärverfassung der Marken auf, als mehrere Burgwarte, welche die Grundlage derselben gebildet, an die Stifter Meißen und Naumburg und auch an den Grafen Wiprecht von von Groitzsch u. a. von dem Kaiser vergabt wurden. Vgl. Posse, Markgrafen von Meißen 293. Manche Besitzerwerbung mag da nicht verbrieft worden sein, oder das Bistum Meißen suchte sich für von ihm annektierte Orte Besitztitel zu schaffen, griff deshalb zur Fälschung und fabrizierte Urkunden auf Grund echter, uns nicht mehr erhaltener Dokumente. In jener Zeit und in gleicher Absicht ist auch St. 3024 1107 Dez. 28 (Or. Dresden), Urkunde Heinrichs V. (II, Taf. 45, 2) mit grober Siegelfälschung entstanden. Vgl. S. 116. 229.
    St. 3256 (II, Taf. 48, 2–4). Lothar III. Fälschungen in drei Exemplaren aus der Zeit des 12. und anfangs des 13. Jahrhunderts mit Abdrücken vom echten Siegel Lothars III. No. 2. Vgl. S. 117.
    St. 3776 (II, Taf. 49, 6) Friedrich I. Fälschung des 13. Jahrhundert. Siegel matter Abdruck von Friedrich I. (I, Taf. 22, 1) S. 118.
    BF 1603 (II, Taf. 50, 4). Friedrich II. Fälschung 13. Jahrhundert mit einem Siegel nach Abguß vom echten (I, Taf. 29, 3). Vgl. S. 119.
    BF 3483 (II, Taf. 50, 5. 6). Friedrich II. Fälschung aus den Jahren 1358–59. Abschlag von einer echten Bulle (I, Taf. 22, 3, 4). Vgl. S. 120.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0228.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)