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Führung der auswärtigen Politik anzusehen, sie ist nur eine Art Wiederbeurkundung der von Leopold I. getroffenen Einrichtung. Diese acht Räte starke Konferenz hatte die auswärtige Politik und die Reichskriegssachen zu beraten, unter Ausschluß des Reichsvizekanzlers, der früher als Sekretär und Mitglied des geheimen Rates den größten Einfluß besessen hatte.

Schon Ferdinand II., der die innerösterreichischen Länder wieder mit dem Hauptbesitz seiner Familie vereinigte, hatte die österreichische Kanzlei in zwei Abteilungen, in eine nieder- und innerösterreichische geteilt, und, als Leopold I. im Erbgange die tirolischen und vorderösterreichischen Besitzungen erworben hatte, wurde eine dritte, die oberösterreichische (tirolische) Expedition hinzugefügt, so daß es drei österreichische Kanzleien gab, die einen gemeinsamen Kanzler hatten, aber fast unabhängig nebeneinander amtierten.

Um eine größere Raschheit in den Geschäftsgang zu bringen, richtete Josef I. die Kanzlei in der Weise ein, daß er, ohne eine strenge Scheidung der Agenden vorzunehmen, für den einen Vorstand zwei Kanzler bestellte und die Besorgung der diplomatischen Korrespondenz, die früher in verschiedenen Kanzleien – österreichische, böhmische, Reichskanzlei und Hofkriegsratskanzlei – nach den Weisungen der geheimen Konferenz vor sich ging, der geheimen österreichischen Hofkanzlei übertrug. Die Reichskanzlei sollte mit den auswärtigen Geschäften nur so weit zu tun haben, als es sich um Angelegenheiten des Reiches handelte und lediglich Expeditionsstelle für diese und für die Reichshofratsagenden sein. Nur was der Kaiser „nomine imperii“ an die Kurfürsten und Stände des Reiches ergehen lasse, solle durch die Reichskanzlei gehen, und die Instruktionen und Vollmachten für die Gesandten seien nur durch die Reichskanzlei abzufassen, wenn das Reich „in corpore“ an den Verhandlungsgegenständen beteiligt sei. Es konnte daher vorkommen, daß an die Gesandten doppelte Instruktionen sowohl von der österreichischen als von der Reichskanzlei ausgefertigt wurden. Trete der Kaiser aber als Territorialherr, nicht als Reichsoberhaupt, mit Kurfürsten und Fürsten des Reiches in Verhandlung, so falle der schriftliche diplomatische Verkehr ebenso wie der mit anderen Potentaten in die Kompetenz der österreichischen Hofkanzlei, die für die geheimen politischen Angelegenheiten des Herrscherhauses bestimmt sei.

Josefs I. Nachfolger Karl VI. erließ, nach dem Muster der böhmischen Kanzleiinstruktion, am 26. März 1720 eine neue Ordnung für die österreichische Hofkanzlei, durch die doch eine gewisse Art von Selbständigkeit in Anspruch nehmenden Abteilungen derselben, die tirolische und innerösterreichische Kanzlei, ihre Selbständigkeit verloren. Es wurden die Expeditionen und Registraturen wohl weiter getrennt geführt, aber die meritorische Behandlung der aus den tirolischen und innerösterreichischen Ländern einlangenden Sachen erfolgte in demselben Senate, in dem die niederösterreichischen Geschäftsstücke ihre Erledigung fanden.

Damals ist offenbar der Grund zu einer besonderen Kanzlei für die „Staatssachen“, das sind die auswärtigen Angelegenheiten, also zur „Staats“kanzlei gelegt worden. In der österreichischen Kanzlei wurde augenscheinlich noch unter Josef I. eine eigene „Staats“expedition eingerichtet, im Laufe der Jahre immer weiter ausgestaltet, unter Karl VI. schon als Staatskanzlei bezeichnet und endlich im Jahre 1742 als selbständiges Amt von der österreichischen Kanzlei ganz abgetrennt.

Mag auch in den ersten Jahren der Regierung Josefs I. der Reichskanzlei die Führung der auswärtigen Korrespondenz, soweit sie ihr noch zustand, nicht ohne weiteres entwunden worden sein, so wurde sie seit 1715 immer mehr daraus verdrängt. Die Hofkanzleiordnung Karls VI. vom Jahre 1720 charakterisiert schon in deutlichster Weise die österreichische Kanzlei als Staatskanzlei, als Kanzlei des Äußeren.

Damit war auch formell besiegelt, was wohl immer Herkommen war, daß die meist bedeutungslosen Reichsangelegenheiten an den Reichsvizekanzler, die ganze große Politik an den Staatskanzler ging, wozu dann als weiter für die Reichskanzlei und das Reichsvizekanzleramt abträglich die zunehmende Stabilisierung des Gesandtschaftwesens und der Umstand getreten ist, daß die kaiserlichen Gesandten zumeist den Kaiser als Kaiser und Landesfürsten zugleich zu vertreten hatten und einem eventuell den staatskanzlerischen Weisungen entgegengesetzten Befehle des Reichsvizekanzlers nachzukommen sich gewiß gehütet haben würden.

So stellt sich die vom Reichsvizekanzler verwaltete Reichskanzlei als auswärtiges Amt für Angelegenheiten des Reiches und als Reichshofkanzlei dar. Ihr Chef ist ein Reichsminister des Äußeren und Reichshofratskanzleipräsident. Dazu kam die Vertretung auf den Reichstagen, zu denen er mit einem Teile der als Hilfsbehörde mitgenommenen Reichskanzlei zum Zwecke der „Konsultation in dort vorfallenden Geschäften und Handlungen“ den Kaiser zu begleiten hatte. Die Reichskanzlei hatte außerdem einen selbständigen Wirkungskreis: die Ausstellung der vom Kaiser auf Grund seiner Prärogativrechte zu verleihenden Privilegien, der Lehnbriefe und Urkunden überhaupt, vor allem der Standeserhöhungen.

Durch die Hofordnung Karls VI. wurde der Geschäftsgang für die Behandlung und Erledigung der auswärtigen und österreichischen Agenden endlich in feste Formen gebracht. Die nach den drei österreichischen Ländergruppen geteilten Expeditionen wurden beseitigt und die ganze Kanzlei in „ein Corpus“, bestehend aus zwei Hofkanzlern, einem Vizekanzler, neun Räten und dem übrigen Personal zusammengezogen. Der Obsorge des ersten Kanzlers und der ihm zugewiesenen zwei Räte und Beamten unterliegen alle „Haus- und fremden Staatssachen“,

Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0210.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)