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untergeordneten Beamten überlassen, wie ja in den Kanzleiordnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts Bestimmungen hierüber getroffen sind[1].

Nach der etwa Januar 1244 verfaßten sizilischen Kanzleiordnung Friedrichs II., der neuen Redaktion einer verlorenen, älteren Vorlage, haben wir uns die Entstehung und Besiegelung der Urkunden der Kaiserzeit im allgemeinen folgendermaßen zu denken.

Der Einlauf (Petitionen und Briefe getrennt) wird in Empfang genommen und an drei bestimmten Wochentagen verlesen, sodann mit entsprechenden, auf der Rückseite jedes Stückes versehenen Anweisungen den Notaren zur Bearbeitung übergeben. Ihre Ausfertigungen werden wieder verlesen und, im Falle der Genehmigung, vorläufig von einem der beiden Großhofrichter mit seinem Privatsiegel besiegelt, in das Siegelamt geschickt und dort mit dem kaiserlichen Siegel versehen. Sodann setzt der Kapellan Philipp auf jede einzelne besiegelte Urkunde sein Zeichen und händigt sie der Partei aus, wobei jeder Empfänger schwören muß, keinerlei Bestechung ausgeübt zu haben. Der Kaiser selbst nimmt an den Sitzungen, in denen die Verlesung des Ein- und Auslaufes erfolgt, nicht teil und wird überhaupt nur in besonderen Fällen um seine Entscheidung befragt, die Hauptmasse der durch die Kanzlei gehenden Angelegenheiten wird von den Beamten allein entschieden und ausgeführt.

Bei die Rechte Privater berührenden Urkunden fand an drei Tagen öffentliche Verlesung zur Erhebung des Einspruches statt. So ist sorgfältig die Verantwortung verteilt und der Möglichkeit der Erschleichung vorgebeugt[2].

Es fragt sich nun und wird schwerlich sicher zu entscheiden sein, ob, wie Philippi meint, jede einzelne Urkunde von den Richtern zunächst mit ihrem Privatsiegel versehen worden sei, oder ob man die an einem Tage verlesenen Urkunden zusammenpackte, das Paket mit dem Siegel des Richters verschloß und so in das Siegelamt schickte[3].

Schon nach der Wahl Friedrichs II. zum deutschen König war die sizilische Kanzlei neben der deutschen, die nun eingerichtet wurde, bestehen geblieben, aber eine ganz scharfe Scheidung zwischen beiden Kanzleien ist nicht herbeigeführt worden. Ob nun alle Bestimmungen der für Sizilien 1244 eingeführten Kanzleiordnung auch auf die Urkunden der deutschen Reichskanzlei angewandt wurden, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Dafür spricht, daß das eigenhändige Zeichen Philipps sich auch in Reichsurkunden Friedrichs II. vom Januar 1244–46 fast immer findet, und das Kanzleipersonal wohl kaum ein anderes war. Dann verschwindet die Gegenzeichnung, was vermutlich mit einer Veränderung in der Organisation der Kanzlei im Laufe des Jahres 1246 zusammenhängt[4].

Auf ein Weiterbestehen von in die Reichskanzlei aus der sizilischen Kanzlei übernommenen Bestimmungen dürfte die Beobachtung hinweisen, daß bei Herstellung von Urkunden Ludwigs IV. vor der Hauptbesiegelung ebenso wie die sizilische Kanzleiordnung von 1244 vorschreibt, eine interimistische Siegelung stattfand, was auch hier auf einen Fertigungsvermerk schließen läßt. Besteht in Wirklichkeitein derartiger Zusammenhang, so dürfte auch jede einzelne Urkunde der sizilischen Kanzlei mit dem Privatsiegel versehen gewesen sein.

Im Anfang von Ludwigs IV. Regierung wurden nämlich die Diplome häufiger, aber keineswegs regelmäßig mit einem kleinen runden Ringsiegel signiert, meist auf der Rückseite zwischen den Löchern für die Siegelschnur oder über dem Presselschnitt. Die Einrichtung behauptete sich nicht in dem ursprünglichen Umfang. Späterhin finden sich die Beispiele nur noch vereinzelt[5].


blieben bei den einzelnen Kanzleiexpeditionen. Die Hofkammer hatte ihr eigenes Siegel. Fellner-Kretschmayr a. O. 2, 29, 3b. 1498 13/2: wir verordnen und geben … unsern verwaltern und räten unser camersecret, daz si zu verfertigung und aufrichtung aller und iglicher santbrive geschäft raitbrif und ander brif und verschreibungen dasselb secret zu ainer jeden zeit nach laut diser unser camerordnung brauchen mügen. – 2, 269 § 58. 1537 1/9: dann mit dem secret, das ain hofcamersecretari hat, an die stat verfertigt werden. – Sekret für die Reichssachen 2, 297 § 16. 1559 1/6: unser taxator … was von nöten registriren lassen und volgends so es missiven … verschliessen, solche papiren brief alle mit unserm secret, so wir ime zuestellen lassen und vertrauet, versigeln. – Österreich. Hofkanzlei 2, 459 § 14. 1628 1/9: unser secretari … dieselbige brief, so si mit iren secret fertigen. – 3, 383 § 18. 1720 26/3: zumalen nun aber dises kleine sigill, womit derlei expeditiones vorher sigilliret worden, allzeit in dem taxambt, wo dergleichen künftighin zu sigilliren sein, aufbehalten werden solle. – Hofkriegsratssekret 2, 409 § 9 (1604–15): under unsern aufgetrukten kais. secrctinsigel.

  1. Geheimsiegel, insbesondere Ringsiegel, handhabten wohl die Kaiser persönlich. Außer den Siegeln, die von den Kanzleibeamten geführt wurden, hat Karl IV. noch mehrere besessen, die er persönlich gebrauchte und handhabte. Sie alle waren Siegelringe. Lindner a. O. 50. Ilgen a. O. I. 4, 35. Vgl. S. 174.
  2. Philippi, Reichskanzlei 29f. Breßlau UL. 1, 580. Erben a. O. 105.
  3. Winkelmann, Sizilische u. Päpstliche Kanzleiordnungen S. 6: Littere vero omnes scripte relegentur in conspectu predictorum et sub sigillo alterius eorum portabuntur ad sigilla, prout docuerit, et cum sigillabuntur, omnia sigilla erunt, prout quilibet expedire debet litteras suas. – Et duo iudices, qui eodem die sederint in causis, legent litteras de sigillo iusticie et per eos tantum approbate et signate sigillabuntur, et dictum est.
  4. Breßlau UL. 1, 577. – Erben a. O. 111.
  5. In den ersten Regierungsmonaten Ludwigs IV., dann auch in späteren Jahren seiner Regierung tragen mehrere Urkunden auf ihrer Rückseite in gleichmäßiger Weise das Wort lecta oder perlecta. Breßlau a. O. 1, 771, Anm. 1 und danach Schauss, Zur Diplomatik 10 nehmen Beziehung auf den König an. Erben a. O. 1, 267 meint wohl mit Recht, daß sich das Wort auf eine Revision durch höhere Kanzleiorgane bezieht. Vgl. a. Erben a. O. 1, 276, Anm. 4. Sybel u. Sickel, Kaiserurk. in Abb. Text 306. Auf der Rückseite der Urkunden rote Spuren (Or. München, K. Ludwig Select No. 16, 17, 23, 44) 1312 Dez. 2, 1314 Dez. 2 u. Dez. 20, 1315 April 28 auf der Schriftseite (Bug) No. 123 1317 Febr. 17 und auf der Schriftseite (linker Rand) No. 131 1317 Febr. 24. Gut erhalten Or. Stadtarchiv München 1315 Febr. 18 (IV, Taf. 74, 11). So läßt sich auch an Urk. 1335 Juli 1 (Or. Dresden 2698) auf der Rückseite eine Spur, wie von einem ganz kleinen Siegel nachweisen. Lippert (in Mitteil. des Inst. f. österr. Gesch. 13, 607) weist auf ein anderes Vorkommnis hin, das zwar nicht Ludwigs Urkunden selbst, wohl aber einige mit den seinigen in sachlichem Zusammenhange stehende Urkunden [204] seiner Söhne betrifft. Am 18. Aug. 1337 schlossen Ludwig und seine Söhne Ludwig und Stefan mit Friedrich von Meißen Bündnisse und zugleich Verträge ab. Das Hauptstaatsarchiv Dresden besitzt von diesen neun Urkunden die drei des Kaisers (Or. 2780, 2782, 2783), zwei des Brandenburgers (2781, 2784), zwei Stefans (2785, 2786). Stefans Bündnis befindet sich im Gesamtarchiv Weimar (Reg. F p. 150 E. 31a). Auf sämtlichen fünf vorhandenen Urkunden der Söhne findet man außer den an Pergamentstreifen hängenden Fußsiegeln Ludwigs, bez. Reitersiegeln Stefans noch auf der Rückseite ein zweites, rundes, grünes Wachssiegel aufgedrückt (2781, 2784, 2785) und der Weimarer in der rechten, bei 2786 in der linken Ecke. Die noch vorhandenen Reste des Siegelbildes und der Umschrift verraten Anklänge an das bekannteste wettiner Siegel des 14. Jahrhunderts, den reifgeschmückten Jünglingskopf einer antiken Gemme, den vier Generationen der Markgrafen von Meißen (von Friedrich dem Freidigen bis zu seinem Urenkel Friedrich den Streitbaren) (Posse, Lehre von den Privaturk. 132. 136 und Siegel der Wettiner, Taf. 17, 3; 20, 3) ein Jahrhundert lang als Sekretsiegel führten. Eine Vergleichung mit wohlerhaltenen Originalen dieses Sekretes ergab das überraschende Resultat, daß tatsächlich bei jener Zusammenkunft in Schleusingen der Wettiner, für den alle diese Urkunden ausgestellt wurden, sein Sekretsiegel auf der Rückseite der Urkunden der Kaisersöhne – nicht aber denen des Kaisers selbst – mit aufdrücken ließ. Es handelt sich also hier um eine Doppelbesiegelung, die Hauptbesiegelung des Ausstellers und eine sekundäre Mitbesiegelung des Empfängers.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0204.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)