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5. Beurkundung und Besiegelung

In älterer Zeit sind in der Regel die Reinschriften von Diplomen den Herrschern zur Unterschrift vorgelegt worden, die bei dieser Gelegenheit den Befehl zur Besiegelung (Vollziehungsbefehl) erteilten.

Hörte die eigenhändige Unterschrift des Kanzlers in der Reinschrift schon früh auf, und fand auch die angekündigte Gegenzeichnung des Königs nicht immer statt – im 12. Jahrhundert kam sie überhaupt außer Brauch –, so wurde die Besiegelung eine um so wichtigere Stufe der Beurkundung, als sie allein noch ein persönliches Eingreifen, wenn auch nicht des Königs selbst, doch eines höheren Kanzleibeamten bestimmt voraussetzen läßt[1].

Der Zeitpunkt, in dem bei der Entstehung der Urkunde das Siegel an ihr befestigt wurde, konnte ein verschiedener sein. Im allgemeinen müssen wir die Besiegelung als den Schlußakt der Beurkundung ansehen, wie ihrer ja auch im Protokoll der Urkunde an letzter Stelle Erwähnung geschieht[2].

Leider fehlt es uns an älteren deutschen Kanzleiordnungen, doch wissen wir von Konrad von Mure, einem mit dem Geschäftsgange am Hofe des Kaisers wie des Papstes wohlvertrauten Manne aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, daß keine Urkunde, sehr einfache Sachen ausgenommen, ohne besonderes Wissen des Fürsten mit dessen Siegel versehen werden durfte[3].

Unter den Merovingern waren die Referendare, später Kanzler und Notare genannt, die Siegelbewahrer[4]. Mag das Siegel noch später zunächst dem Kanzler anvertraut gewesen sein, so scheint sich dieser doch an der Fertigung der Urkunde kaum noch irgendwie beteiligt zu haben. Es ist nicht wohl denkbar, daß er auch nur die Siegelung derselben persönlich überwacht habe. Es liegt wohl am nächsten, das als Aufgabe des Protonotars zu betrachten, dessen Sache jetzt die Leitung des gesamten Beurkundungsgeschäfts gewesen zu sein scheint, wie das aus Urkunden des 12. bis 14. Jahrhunderts hervorgeht. Aber es ist dabei nicht ausgeschlossen, daß auch jetzt noch die Herrscher dafür Sorge trugen, daß wenigstens wichtigere Urkunden nicht vollzogen wurden, ehe sie von ihnen Einsicht genommen und die Besiegelung angeordnet hatten.

Auch in späterer Zeit haben höhere Kanzleibeamte die Siegelstempel in ihrer Obhut gehabt. Unter Maximilian I. und Ferdinand I. hatte der oberste Hofkanzler, unter Maximilian II. der oberste Kämmerer, seit Ferdinand II. der Hofkanzler das große und mittlere Siegel in Verwahrung, während der Sekretstempel bei den einzelnen Expeditionen belassen wurde[5]. Das Geschäft des Siegelns wurde natürlich


  1. Ficker, Beiträge 2, 188. Breßlau, UL. 1, 766.
  2. Ilgen a. O. 27.
  3. Quellen und Erörterungen 9a, 475: Nulle littere nisi valde simplices debent domini sigillo communiri, nisi de scitu principis speciali et post legittimam litterarum examinationem factam a prothonotario seu cancellario vel aliis, qui ad huius modi officium sunt per principem deputati. – Die Kanzleiordnung Karls von Anjou bestimmt, daß keine Urkunde in Gnadensachen oder von einiger Bedeutung ohne Wissen des Königs besiegelt werden darf. Winkelmann, Acta 1, 745: nullaque patens littera seu clausa, que graciam continent aut pondus importet, sigillabitur sine consciencia regis quantumcumque in ea impressio anuli dicti prothonotarii et ipsius inscripcio habeatur. – Über den Geschäftsgang der deutschen Reichskanzlei besitzen wir Kanzleiordnungen erst aus dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, und zwar aus jener Zeit, in der die vom Erzbischof Berthold von Mainz geleitete Reichskanzlei und die Hofkanzlei Maximilians I. nebeneinander eine konkurrierende Tätigkeit entfalteten.
  4. Gregor von Tours (Hist. Franc. 5, 3): Referendarius, qui anulum regis Sigeberti tenuerat. Rotbertus summus referendarius als gerulus anuli regis Chlotarii bezeichnet. Von Rado heißt es: scriptor privilegiorum gerulusque anuli regis. Waitz, Verf. 2, 380 Anm. 2. Karolingerzeit: Mon. Leg. 1, 540 Kap. 17 bestimmt Karl der Kahle bei seiner Abreise nach Italien: Adalardus comes palatii cum eo (Sohne des Kaisers) cum sigillo. Aus den tironischen Noten geht hervor, daß in der Regel die Vorstände der Kanzleien das Siegel in Verwahrung hatten. – Nachkarolingische Zeit: Vita Ottonis (Mon. Germ. SS. 20, 765) Bischofs Otto von Bamberg, der 1102 Kanzler unter Heinrich IV. war: Otto sigillum imperatoris et officium cancellarie succepit. Dieser Brauch hat dann in der goldenen Bulle von 1356 seine gesetzliche Regelung erfahren und bis zur Auflösung des Reiches fortgedauert. Hatte der Erzkanzler einen Stellvertreter (Vizekanzler), so war das Siegel diesem anvertraut. Auf den Reichstagen führte das Siegel der Erzkanzler, doch so, daß nur eine formelle Übernahme und hierauf Rückstellung an den Vizekanzler stattgefunden zu haben scheint. Archiv f. österr. Gesch. 84, 413
  5. Fellner-Kretschmayr, Die österr. Zentralverwaltung 2, 11 § 21. 1498 13/2: das eilfte kestel sol haben ein stössel, wol vermacht. Darein sol man legen das sigel und secret verspert, und denselben slüssel sol haben der canzler oder obrist secretari. – 2, 242 § 14. 1528 12/2: sollen die pergamenen brief, so mit unserm anhengenden insigl zu fertigen sein, bei gedachtem unserm obristen canzler, wie der brauch ist, gesigelt und die andern mit unsern secret sigel, wie obbegriffin stehet (§ 13) versecretiert werden. – 2, 270 § 61. 1537 1/9: nachmals unserm obristen hofcanzler oder verwalter desselben hofcanzlerambts zuetragen. – 2, 347 § 59. 1568 1/7: oberster camerer, alda beruert gross sigl verwart ist. – 2, 461 § 21. 1628 1, 9: canzler, deme unsere sigill (großes und mittleres) bevolchen zum sigeln. – 2, 549 § 41. 1669 31/12: zu unserm obristen hofkanzlern „als dem wir die sigl (großes und mittleres) anbevolchen und anvertraut“ zum sigeln. – So auch 3, 5 § 42. 1683 11/6. – Die Sekrete, auch gemain sigel genannt, die zu minderwichtigen Sachen Verwendung fanden, [203] blieben bei den einzelnen Kanzleiexpeditionen. Die Hofkammer hatte ihr eigenes Siegel. Fellner-Kretschmayr a. O. 2, 29, 3b. 1498 13/2: wir verordnen und geben … unsern verwaltern und räten unser camersecret, daz si zu verfertigung und aufrichtung aller und iglicher santbrive geschäft raitbrif und ander brif und verschreibungen dasselb secret zu ainer jeden zeit nach laut diser unser camerordnung brauchen mügen. – 2, 269 § 58. 1537 1/9: dann mit dem secret, das ain hofcamersecretari hat, an die stat verfertigt werden. – Sekret für die Reichssachen 2, 297 § 16. 1559 1/6: unser taxator … was von nöten registriren lassen und volgends so es missiven … verschliessen, solche papiren brief alle mit unserm secret, so wir ime zuestellen lassen und vertrauet, versigeln. – Österreich. Hofkanzlei 2, 459 § 14. 1628 1/9: unser secretari … dieselbige brief, so si mit iren secret fertigen. – 3, 383 § 18. 1720 26/3: zumalen nun aber dises kleine sigill, womit derlei expeditiones vorher sigilliret worden, allzeit in dem taxambt, wo dergleichen künftighin zu sigilliren sein, aufbehalten werden solle. – Hofkriegsratssekret 2, 409 § 9 (1604–15): under unsern aufgetrukten kais. secrctinsigel.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0203.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)