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Gründe zu erklären ist. So scheiden aus die Fälle der Fälschung[1] und der nachträglichen Besiegelung[2]. Im Einzelfalle läßt die Erhaltung des überlieferten Siegels die Identität mit dem gleichzeitig benutzten andern nicht erkennen[3].

Schon Foltz (N. Archiv 3, 30f.) hat die Tatsache des gleichzeitigen Vorkommens verschiedener Stempel aus der Zeit von Konrad I. bis Heinrich II. besprochen, Sickel sucht sie in folgender Weise zu erklären. Siegelbewahrer war der Kanzler. War er aber nicht zu jeder Zeit zur Stelle, so mußte auch für diesen Akt der Beglaubigung Fürsorge getroffen werden. Wurde der Akt nun gleich der Rekognition mehreren Notaren oder anderen Vertrauensmännern übertragen, so mußten auch verschiedene Stempel in Bereitschaft gehalten werden, die dann ganz nach Gelegenheit Verwendung gefunden haben mögen[4], wie man ja auch unter Friedrich I. dem Bischof Eberhard von Bamberg, der im Jahre 1152 als Gesandter nach Rom geschickt wurde, eine Kopie des königlichen Wachssiegelstempels mit auf die Reise gegeben zu haben scheint[5].

Daher werden wir auch nach der Häufigkeit[6] ihres Vorkommens die einen als Hauptsiegel, die den Stellvertretern des Kanzlers anvertrauten als Hilfssiegel bezeichnen dürfen, zumal sie sich im Einzelfalle als Hilfs- bez. Aushilfesiegel erweisen lassen[7].

Hilfssiegel sind aber auch aus anderen vereinzelt erkennbaren Ursachen hergestellt worden. Die Ablösung des einen Stempels erfolgte vielfach ohne politische Gründe, mehrfach, wenn das Hauptsiegel nicht mehr gebrauchsfähig war, wurde ein Aushilfesiegel geschaffen, das auch nach Reparatur des Hauptsiegels noch vereinzelt in Anwendung blieb[8], aber bei Ludwig


  1. Karl III. Stempel 2 ist an echten Urkunden erst 882 nachweisbar. MR 1610 reiht eine Urkunde unter 881 ein, doch ist sie eine Fälschung des 12. Jahrhunderts, reskribiert auf radiertem Pergament, das nur noch den Rest eines Rekognitionszeichens unter dem Siegel zeigt (II, Taf. 52, 15). Danach dürfte Mühlbachers Einreihung zu berichtigen und Stempel 1 und 2 nacheinander verwendet sein. Vgl. S. 163.
    Arnulf Stempel 4 (I, Taf. 4, 6) und 7 (I, Taf. 5, 4) sind anscheinend rohe Ausführungen, Stempel 5 (I, Taf. 5, 2) bedeutend kleiner als die sonst von Arnulf gebrauchten Siegel. Jeder Stempel kommt nur einmal vor. Vermutlich sind die drei echten Urkunden, weil sie ihre Siegel verloren, mit falschen Siegeln in späterer Zeit versehen worden. Vgl. S. 167.
    Otto I. Stempel 2 (I, Taf. 7, 3) St. 348 ist Nachzeichnung des 10. Jahrhunderts, die Echtheit fraglich. Vgl S. 163.
    Otto I. Stempel 3 (I, Taf. 7, 4), St. 372 Fälschung Falkes. Vgl. S. 105 und S. 163.
    Otto I. Stempel 6 (I, Taf. 7, 7), St. 141 Diplom zweifelhafter Geltung. Vgl. S. 105.
    Otto II. Stempel 5 (I, Taf. 8, 6), St. 857 an echter Urkunde ein Siegel Ottos I. (I, Taf. 7, 5). Die Besiegelung ist als falsch anzusehen, da Otto II. sonst diesen Stempel seines Vaters nicht verwendet hat. Vgl. S. 12 und 165.
    Konrad II. Stempel 2 (I, Taf. 12, 2. 3), St. 1888. 1889. Vgl. S. 111 und 166.
  2. Um das Vorkommen mehrerer Siegelstempel nebeneinander zu erklären, wird man in Einzelfällen zu der Annahme nachträglicher Besiegelung bez. Neuausfertigung greifen müssen. Auch wenn wegen anderer Ursachen als der Änderung des Titels ein Siegelwechsel eintrat, kommen oft ein paar Wochen oder Monate hindurch alter und neuer Stempel nebeneinander vor, früher datierte Urkunden sind nachträglich besiegelt worden. Vgl. II, 5. Beurkundung und Besiegelung.
    Ludwig das Kind Stempel 3 (I, Taf. 5, 10) an Urkunde 901 13/9 (MR 1997) wird erst 909, als Nachfolger von Stempel 2 gefunden. Hier also wohl nachträgliche Besiegelung oder Neuausfertigung unter dem Tage der Handlung. Vgl. S. 163.
    Otto I. Stempel 4 (I, Taf. 7, 5) an Urkunde 961 23/4 (St. 284). Vgl. S. 163 und II, 5. Beurkundung und Besiegelung.
    Otto I. Stempel 6 (I, Taf. 7, 7) an Urkunde 966 1/3 (St. 402). Nachträgliche Besiegelung. Vgl. S. 164.
    Otto II. Stempel 4 (I, Taf. 8, 5) an Urkunde 972 18/8 (St. 572). Nachträgliche Besiegelung. Vgl. S. 165.
  3. Karl III. Stempel 3 (I, Taf. 3, 6) ist einmalig und in so schlechtem Zustande erhalten, daß sich die Identität mit Stempel 2 (I, Taf. 3, 5) nicht behaupten läßt. Vgl. S. 163.
  4. Mon. Germ. DD, Otto I., S. 88.
  5. S. 169.
  6. Ludwig der Deutsche Stempel 3 neben St. 2 = 3 : 49. – Karl III. St. 5 neben St. 4 = 1 : 10. – Ludwig d. Kind St. 1 neben St. 2 = 8 : 6. – Otto II. St. 5 u. 6 neben St. 4 = 3 : 3 : 70. – Konrad II. St. 2 neben St. 1 = 2 : 17; St. 4 neben St. 3 = 14 : 1; St. 5 (22mal). – Heinrich III. (Königszeit) St. 2 neben St. 1 = 13 : 49. – Heinrich IV. St. 8 neben St. 9 = 3: 1.
  7. Vgl. S. 162, Anm. 5.
  8. So Stempel 3 Ludwigs des Deutschen. Stempel 1 der Königskanzlei Otto I. bestand aus einem Stein mit zackiger Metallfassung (I, Taf. 7, 1). Der Stein wurde aber in der Zeit vom 13. Juni bis 9. Aug. 952 à jour gefaßt (IV, Taf.73, 1). In dieser Form zersprang er im Herbst 956, erhielt wieder eine zackige Fassung und diente trotz dem Sprunge noch fünf Jahre lang in der Kanzlei (I, Taf. 7, 2), bis das Hinzukommen des Kaisertitels ein neues Siegel nötig machte (I, Taf. 7, 3). Eine Vergleichung der Siegel, die mit der alten und neuen Fassung hergestellt wurden, ergibt nun, daß die ältesten Königsurkunden Ottos I. von 936 Sept. 13 (St. 56) und die drittälteste von 936 Okt. 17 (St. 58) mit dem Stempel der zweiten Fassung, die Urkunde dazwischen von 936 Okt. 14 (St. 57) dem der ersten Fassung besiegelt worden sind. Nach weiteren Untersuchungen (S. 11) sind die drei Urkunden als Neuausfertigungen anzusehen, die geschrieben wurden in der Zeit 3. Juni bis 9. Aug. 952, wobei St. 57 noch mit der alten Fassung, St. 56 und 58 mit der neuen Fassung besiegelt wurden. Man ersieht hieraus, daß Siegel und Datierung in Widerspruch stehen können, dieser Widerspruch aber nur dann seine Erklärung findet, wenn sie, wie hier im Einzelfalle, das Siegel selbst gibt. – Der Wechsel der Siegelstempel unter Ludwig dem Frommen im Jahre 834 dürfte darauf zurückzuführen sein, daß ihm zu Soissons nebst Wehr und Waffen auch das Siegel (I, Taf. 1, 6) abgenommen wurde, so daß er, um urkunden zu können, sich ein zweites, dem ihm abgenommenen nachgeschnittenes (I, Taf. 1, 7) herstellen lassen mußte. Als sich die Beziehungen Ludwigs zu Lothar wieder besserten, hat der Sohn dem Vater jenes kostbare Instrument wohl wieder zurückgestellt. Von 837 an zeigen Ludwigs Diplome wieder das alte Siegelbild (I, Taf. 1, 6). Vgl. S. 6 und Erben a. O 179. – Ein ähnlicher Fall Jahrhunderte später. Das Thronsiegel war unter Friedrich dem Schönen von der Königskrönung bis Ende der Regierung, mit Ausnahme der Zeit von 1322–25, in Gebrauch. Urk. 1325 Mai 8 (Or. Wien) wird im Texte angekündigt: geben wir in disen brief versiegelten mit unsers vorgenannten bruder herzog Albrechts insigel, wan wir ze den zeiten aygens insigel niht heten. Das Siegel selbst ist verloren, zweifellos war es das Sekret Albrechts II. (Abb. Sava, S. 109, Fig. 17). 1325 Sept. 3 (Or. München) nennt sich Friedrich nur Herzog und siegelt mit einem herzoglichen Sekret (I, Taf. 53, 8). [169] Erst zwei Tage später (1325 Sept. 5 Or. München) siegeln beide Herrscher, Ludwig und Friedrich mit ihren Thronsiegeln: mit unsern hangenden insigeln, der wir jetzo walten, versigelt. Von da ab siegelt Friedrich wieder mit dem königlichen Thronsiegel. Die Siegelkarenz dürfte aber schon seit seiner Gefangenschaft auf Trausnitz datieren, denn seit August 1322 bis Mai 1325 hat Friedrich auch keine Urkunde ausgestellt. Es ist wohl anzunehmen, daß Ludwig bis zur Vereinbarung vom 5. Sept. 1325 das Siegel seines Gegners in Verwahrung nahm. Vgl. Haberditzl in Mitteil. des Inst. f. österr. Gesch. 29, 659.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0169.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2016)