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Cop. trad. Corb. ad pag. 377 überein. Daraufhin unterzog Sickel im Verein mit Strehlke das jetzt freilich namentlich am Rande links sehr beschädigte Siegel der genauesten Prüfung, deren Ergebnis allen diesen Angaben widerspricht. Beide erkannten von der Legende nur noch: XPE … OLVM … OR. Aber alle diese Buchstaben haben genau die Form und Stellung der entsprechenden Buchstaben des Königssiegels, und namentlich ist am Ende kein Raum mehr für ein ausgeschriebenes IMPERATOREM. Auch die Monumenta Germaniae (DD. No. 218) stellen die Lesung: † XPE PROTEGE CAROLVM....R fest. Damit hätte sich auch an MR 477 kein anderes Siegel, das Königssiegel, wie an MR 429 und 450 befunden. Eine neuerdings wiederholte Prüfung des Siegels durch Philippi ergibt mit einiger Sicherheit nur die Lesung von · XPE PROTEGE CAROLVM, dann ist ein Stück abgebrochen und der wieder erhaltene Schluß ist so verwischt, daß man das von Sickel und Strehlke gelesene OR nicht zu erkennen vermag.

Es entsteht aber trotzdem die weitere Frage, ob, wenn Karl auch nach der Kaiserkrönung sein Königssiegel mit unveränderter Umschrift beibehalten hat, nicht die Abnutzung der Metallfassung der Gemme ihn dazu nötigte, ein neues beschaffen zu lassen und bei dieser Gelegenheit, wenn auch verspätet, wie auf der Goldbulle (IV, Taf. 73, 1), die Kaiserwürde zum Ausdrucke brachte. Urkunden von ihm sind seit 813 9/5 bis zu seinem 814 28/1 erfolgten Tode nicht mehr vorhanden. Die Neufassung der Gemme müßte also nach 813 Mai 9 erfolgt sein. Sickel nimmt an, daß in dem Abdrucke der Sammlung Sava die Büste in der Haltung und Behandlung des Königssiegels gleich sei, meint aber, daß sie sich durch größere Breite, namentlich der Brust, durch stärkere Wölbung des Hinterhauptes, durch mehr vorstehenden Bart und durch anderen Faltenwurf unterscheide. Doch ist hierbei zu bedenken, daß schon das Original, nach dem der Abdruck bewirkt wurde, sich offenbar in einem sehr beschädigten Zustande befand und der Abguß, wie er nun vorliegt, vermutlich das Produkt wiederholter Abformung ist, das die ursprünglichen Formen des beschädigt überlieferten Originalsiegels im einzelnen nicht mehr erkennen läßt.


Ludwig der Fromme


1. Or. Reichsarchiv München.     814 Dez. 21.     MR 556 (537).

Angebliches Original des 10. Jahrhunderts. Nachzeichnung einer echten Urkunde von Durandas mit falschem Siegel. Das Protokoll erweist eine echte Vorlage, die Echtheit des Inhalts ist zweifelhaft, wenn auch ein Zweck der Fälschung nicht gut abzusehen ist. Vgl. Sickel, Reg. 302 L. 34. Das Siegel von weißem, ausgetrocknetem, jetzt abblätterndem Wachse. Die Fläche ist nach innen gewölbt, der obere Wachsrand mit Spur einer Öse. Das Bild ist schlecht ausgedrückt oder durch die Zeit abgeschliffen. Man erkennt noch eine rechts stehende Büste en profil, mit römischer, auf der rechten Schulter durch einen Knopf zusammengehaltener Gewandung. Ob mit Lorbeerkranz oder Bart läßt sich nicht mehr erkennen. Rechts ein Schild mit Speer. Das Siegel ist offenbar dem Ludwigs des Deutschen (I, Taf. 2, 6) in rohester Weise und mit Änderung der Umschrift nachgebildet (II, Taf. 30, 6).


2. Or. Staatsarchiv Marburg.     816 Mai 2.     MR 613 (593).

Obgleich man in Fulda das Original mit ursprünglichem Siegel besaß, hat man eine Abschrift (gedr. Dronke, Cod. dipl. Fuld. S. 155, No. 322, der es mit B bezeichnet und für eine zweite Originalausfertigung hielt), Nachzeichnung des 9.–10. Jahrhunderts, mit einem Siegel Ludwigs des Frommen versehen wollen, hat aber, der Dinge nicht kundig, ein Siegel Ludwigs des Deutschen (I, Taf. 2, 6), nicht wie Sickel, Acta 1, 368 annimmt, ein solches Ludwigs des Kindes gewählt (II, Taf. 52, 9).


3. Or. Staatsarchiv Marburg.     816 Mai 2.     MR 614 (594). (Gedr. Dronke, Cod. dipl. Fuld. S. 156, No. 323).

Plumpe Fälschung um 1100 auf Grundlage der zweckdienlich interpolierten Vertragsurkunde von 815 März 27 (Pistorius SS. 3, 561). Datierung aus No. 2. Nachahmung des Siegels Ludwigs des Frommen (I, Taf. 1, 7) (II, Taf. 30, 7).


4. Or. Nationalbibliothek Paris, MS Lat. 9264 St. Maximin No. 3.     822 April 2.     MR 754 (729).

Fälschung von derselben Hand wie MR 100 (98) aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, ohne Benutzung einer echten Vorlage, außer für die Rekognition. Das Siegel ist echt, einer echten Urkunde entnommen = I, Taf. 1, 6 (II, Taf. 52, 10).


5. Or. Staatsarchiv München.     823 Juni 28.     MR 778 (753).

Auf Grund der echten Urkunde Ludwigs von 823 Juni 28 wurde eine andere Urkunde gefälscht, die uns in zwei angeblichen Originalen erhalten ist, von denen das eine mit einem unechten Siegel Ludwigs des Deutschen (gefertigt nach dem Gemmensiegel = I, Taf. 2, 7) versehen ist, beide geschrieben von einem Schreiber der Kanzlei Ottos II., der auch die übrigen Fälschungen für Passau anfertigte (II, Taf. 30, 8).


6. Or. Staatsarchiv Lüttich.     826 April 26.     MR 828 (803).

Angebliches Original aus dem 11.–12. Jahrhundert. Fälschung mit Benutzung der Urkunde 831 April 19 [MR 888 (859)]. Nachahmung eines Siegels Ludwigs des Deutschen 2 (I, Taf. 2, 7) oder Ludwigs des Kindes (I, Taf. 5, 8). Die Büste ist größer als die der echten Siegel. Der Sprung im Original setzt sich anstatt unter dem Kinn, mit dem Kinn fort. Der Kopf ist viel stärker (II, Taf. 30, 9).


7. Or. Stadtarchiv Schlettstadt.     829 Juni 13.     MR 864 (835).

Angebliches Original aus dem 12. Jahrhundert auf Rasur mit echtem Siegel Arnulfs (I, Taf. 4, 8). Fälschung mit Rekognition und Datierung aus der Urkunde Arnulfs 889 Juni 13 [MR 1817 (1768)] (II, Taf. 52, 11).


Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0106.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)