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bleibt. Aber anzunehmen, daß die Rotationsgeschwindigkeit gleich bleibt, heißt annehmen, daß man die Zeit messen kann“.

Unsere Definition ist also noch nicht befriedigend; es ist nicht die, welche die Astronomen, von denen ich oben gesprochen habe, stillschweigend annehmen, wenn sie behaupten, daß die Erdumdrehung sich verlangsamt.

Welchen Sinn hat diese Behauptung in ihrem Munde? Wir können ihn nur verstehen, indem wir die Beweise ihrer Behauptung zergliedern.

Sie sagen erstens, daß die Reibung der Gezeiten lebendige Kraft zerstören muß, indem sie Wärme erzeugt. Sie berufen sich also auf das Prinzip der lebendigen Kraft oder der Erhaltung der Energie.

Sie sagen ferner, daß die säkulare Beschleunigung des Mondes, nach dem Newtonschen Gesetz berechnet, kleiner sein müßte als sich aus den Beobachtungen ergibt, wenn man nicht die auf die Verlangsamung der Erdumdrehung bezüglichen Korrektionen vornimmt.

Sie berufen sich also auf das Newtonsche Gesetz.

Mit andern Worten, sie definieren das Zeitmaß in folgender Weise: Die Zeit muß so definiert werden, daß das Newtonsche Gesetz und das der lebendigen Kraft gelten.

Das Newtonsche Gesetz ist eine Erfahrungstatsache und als solche nur angenähert; daraus folgt, daß wir auch jetzt noch nur eine ungefähre Definition haben.

Wenn wir eine andere Art, die Zeit zu messen, annehmen wollten, so würden die Erfahrungen, auf die das Newtonsche Gesetz gegründet ist, nichtsdestoweniger den gleichen Sinn behalten. Nur der Wortlaut wäre ein anderer, weil es in eine andere Sprache übersetzt wäre. Er würde zweifellos sehr viel weniger einfach werden.

Empfohlene Zitierweise:
Henri Poincaré: Das Maß der Zeit. Der Wert der Wissenschaft, B. G. Teubner, Leipzig 1898/1906, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PoincareMass.djvu/7&oldid=- (Version vom 1.8.2018)