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die vornehme italienische Renaissance der gegebene Baustil sei, während man wohl fordern sollte, daß gerade die öffentlichen Bauten im heimatlichen Boden wurzeln, damit das Volk die Gemeinschaft des Staates in seinen monumentalen Äußerungen empfinde. So entstanden denn noch eine ganze Reihe Staatsgebäude in diesem Stil, zuerst das neue Kgl. Hoftheater.

Der alte Sempersche Bau brannte am 7. September 1869 ab, die sächsische Regierung war vorurteilsfrei genug, dem Barrikadenbauer von 1849 den Wiederaufbau des Theaters zu übertragen und der Landtag erklärte sich damit einverstanden, nicht ganz ohne Widerspruch. Ein Abgeordneter, der die italienische Renaissance nicht leiden mochte, sagte angesichts des Semperschen Entwurfes witzigerweise: Semper idem monstrum.

Gottfried Semper leitete den Bau aus der Ferne, sein Sohn Manfred Semper führte ihn aus. Im Vergleich zu dem ersten tritt uns dieser zweite Bau imposanter, mächtiger, in herber selbstbewußter Kraft entgegen. An Stelle der sinnigen Anmut ist reif durchdachte Verstandeskunst getreten, an Stelle der schüchternen Formen der Frührenaissance die energische schattenreiche Kraft der Hochrenaissance. Wir bewundern die Folgerichtigkeit architektonischen Denkens, die rücksichtslose Wahrheit, mit der jeder Teil des Baues nach seinem Wesen und Zweck gekennzeichnet im Äußeren in die Erscheinung tritt: Eingangshalle, Treppenhaus und Foyer, Zuschauerraum, Garderoben, Schnürboden, all das ist deutlich im Äußeren hervorgehoben und je nach Zweck reicher oder einfacher dekoriert, ja der Schnürboden magazinartig ganz kahl gelassen. So hat Semper den Grundsatz architektonischer Wahrheit mit voller Schärfe bis in seine äußersten Folgen durchgeführt: das Äußere ist durchweg im Innern begründet. Einen mächtigen Eindruck macht der Bau vom Theaterplatz aus: der wohlproportionierte stufenweise Aufbau, die kräftige klare Gliederung, die wuchtige Durchbildung der architektonischen Einzelheiten mit ihrer wohlberechneten Steigerung durch die Plastik gibt dem Bau das wirksame und dabei so vornehme Gepräge. Zugegeben werden muß, daß er vermöge des kahlen Schnürbodens von der Brücke her weniger erfreulicher wirkt, aber den Platz beherrscht er in ausgezeichneter Weise. Möge es gelingen, den Platz selbst bei der Neugestaltung zu verbessern, ohne daß die imposante Wirkung

Empfohlene Zitierweise:
Paul Schumann (1855-1927): Dresden. Berühmte Kunststätten, Band 46, 1. Auflage. E.A. Seemann, Leipzig 1909, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Schumann_-_Dresden.pdf/270&oldid=- (Version vom 15.3.2023)