Seite:Paul Schumann - Dresden.pdf/126

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Rokoko nur noch jenen reichen graziösen Stil der Innendekoration zu bezeichnen, der das Gegenteil von Gradlinigkeit und Regelmäßigkeit ist. Von diesem Stil mit seinen Muscheln und Schwüngen ist doch nur wenig am Zwinger zu entdecken. Das eigentlich Architektonische des Zwingers ist bewundernswert klar und einfach: der Grundriß ein Rechteck mit verlängerten Halbkreisen an den Schmalseiten, an den vier Ecken der Schmalseiten zweigeschossige Saalgebäude im Spätrenaissancestil mit hohen Bogenfenstern, verbunden durch ruhige eingeschossige Bogengänge mit flachen Dächern, in ihrer Mitte je ein Pavillon in reichster Fülle dekorativer Pracht. Es liegt durchaus im Wesen des Barockstils, daß nur die hervorragendsten Teile des Baues durch reicheren Schmuck hervorgehoben, daß die Wirkungen durch Gegensatz und Steigerung um so kräftiger werden. Pöppelmann hat diese Grundsätze in genialer Weise durchgeführt. Mächtige Raumentfaltung und großartig phantastische Dekoration bestimmen den Eindruck des Zwingers; der Eindruck war um so stärker in einer Zeit, wo der Raum in der Stadt so beengt war und fast alle die monumentalen Bauten, die heute Dresdens Ruhm bilden, noch nicht standen. Nicht zu vergessen, daß der Zwinger eben aus einem Bedürfnis heraus entstanden war und demgemäß benutzt wurde, während er jetzt nur notdürftig anderen Zwecken angepaßt worden ist.

Für die Dekoration des Zwingers zog Pöppelmann die Plastik in reichem Maße heran: die antike Mythologie, die jener Zeit noch nicht Wissenschaft, sondern Leben war, gab die Hauptmotive, in bunter Vermischung mit Kartuschen und Vasen, mit Blumengewinden, Kronen, polnischen Adlern und kursächsischen Wappen, die Augusts königlichen Ruhm in der Sprache der Kunst verherrlichen sollte. Am südlichen Torpavillon sehen wir in den vier Nischen hüben und drüben Flora, Ceres, Bacchus und Vulkan zugleich als Vertreter der vier Jahreszeiten gekennzeichnet. Je einer der vier Saalbauten ist in seiner Dekoration Jupiter, Neptun, Vulkan und Apollo gewidmet. Ergänzungen und Erneuerungen haben allerdings den Plan etwas verrückt. Auf dem Wallpavillon aber hat sich der ganze Olymp versammelt, um Zeuge von Augusts königlicher Herrlichkeit zu sein. Hier drängt sich der ganze Reichtum dekorativer Pracht zusammen: vom Boden aufstrebende, kräftige reich geschmückte Hermen tragen das Gebälk; die spitzohrigen

Empfohlene Zitierweise:
Paul Schumann (1855-1927): Dresden. Berühmte Kunststätten, Band 46, 1. Auflage. E.A. Seemann, Leipzig 1909, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Schumann_-_Dresden.pdf/126&oldid=- (Version vom 26.1.2023)