Seite:Pahl Ueber die Liebe unter dem Landvolk.pdf/5

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Beim Landvolke ist’s, gottlob! so weit noch nicht gekommen. Einzelne Beispiele vom Gegentheil können hier nichts entscheiden. Denn die Menschen sind sich in ihren besondern Ständen nicht durchgehends gleich, und wenn man von dem Karakter einer ganzen Klasse redet, so versteht man immer nur den unter dem größten Theile ihrer Glieder herrschenden Geist. Ueberdies würden auch jene Beispiele gewiß noch viel seltener seyn, wenn die Landleute ihre Mädchen noch nie in die Städte geschikt hätten, oder ihre Junkers nie zu ihnen hinaus gekommen wären.

Die Jugend auf dem Lande fühlt das Bedürfniß zu lieben und geliebt zu werden weit stärker, als die in der Stadt. Kaum ist der Knabe der Schule entlaufen, so schielt er schon umher auf die Schönen des Dorfes, um sich eine unter ihnen auszusuchen, und wenn auch diese oder jene spröde genug wäre, ihn abzuweisen, so thut es doch keine in der Meinung, nie zu lieben, sondern blos, weil ihr gerade dieser Junge nicht gefällt. Je näher der Mensch seinem natürlichen Zustande ist, desto lauter schallt der Ruf der Natur in sein Ohr, und desto williger befolgt er ihn. Diese Natur aber fordert alle Menschen zur Liebe auf, und beut allen ihren Genuß und ihre Freude dar. Keine

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Pahl: Ueber die Liebe unter dem Landvolk. In: Die Einsiedlerin aus den Alpen, 3. Band, 8. Heft, S. 128–153. Orell, Geßner, Füßli & Comp., Zürich 1793, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pahl_Ueber_die_Liebe_unter_dem_Landvolk.pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)