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verschwinden. Hilft ihr Reichthum oder eine andre Empfehlung doch noch zu einem Mann, so muß sie sich bei jeder in der Ehe den demüthigsten aller Vorwürfe gefallen lassen: „Ich habe dich zu Ehren gemacht“!

So häufig auch aussereheliche Schwängerungen unter dem Landvolke vorkommen, so ist doch die Liebe unter ihm bei weitem noch nicht so sehr zur Wohllust ausgeartet, als unter dem grösten Theil der Städter. Zwar verliert jedes Mädchen, das ihre Unschuld ausser der Ehe aufopfert, sey’s auch beim treusten, festesten Bande mit dem Manne ihres Herzens, ihre ganze Würde, ihren grösten Reichthum, und ihre ganze Ruhe. Aber sie stellt sich noch um tausend Stuffen über jene Elende empor, die sich mit Vorsaz und Entschlossenheit den Flammen der Unzucht zur Nahrung hingiebt, – gerade so, wie der Mann, der im Augenblikke der Schwachheit der Sinnlichkeit unterliegt, weit erhaben ist, über den Verführer, der absichtlich darauf ausgeht, die argwohnslose Unschuld zu morden! – Solche Mörder und solche Schandflekke des weiblichen Geschlechts, sind, gottlob! unter dem Landvolke noch äusserst selten, und gerade diese Schwängerungen von denen die Rede ist, sind seine überzeugendste Apologie.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Pahl: Ueber die Liebe unter dem Landvolk. In: Die Einsiedlerin aus den Alpen, 3. Band, 8. Heft, S. 128–153. Orell, Geßner, Füßli & Comp., Zürich 1793, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pahl_Ueber_die_Liebe_unter_dem_Landvolk.pdf/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)