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hingezogen. So ging es auch mir. Über den Neustädter Markt, vorbei an dem vergoldeten Reiterstandbild jenes ruhmbegierigen Herrschers, dessen dickes Schlachtroß einst den ganzen Wohlstand seines Sachsenlandes verschlungen hatte, so daß nicht einmal die Mittel zum Behauen des Sockels übriggeblieben waren – vorbei an der Hauptwache, wo starke Ketten den Insassen des grün-weißen Schilderhauses gegen Angriffe der Gassenbuben schützten – hinaus auf die Augustusbrücke, deren rußiges Gewand wohl die Trauer um die schönen alten Zeiten andeutete, als behäbige Bürger in Frack und Dreimaster mit Frauen und Töchtern hier einherspazierten und auf den Pfeilerbänken ausruhend die noch von keiner Dampfesse verdickte Abendluft genossen. Wie oft stieg ich dann die Treppe zur Brühlschen Terrasse hinauf, an deren Fuße die beiden gemütlichen Löwen lagerten, die jetzt am Südeingange des Großen Gartens die Ungestörtheit liebender Paare bewachen. Brühlsche Terrasse – der Name faßte für Einheimische und Fremde all die Schönheit in sich, die Dresden in Natur und Baukunst zu bieten vermochte. Hier schaute man hinaus auf die blauen Berge der Lößnitz, auf die bewaldeten Höhen der Heide, auf die Weingelände von Loschwitz bis Pillnitz und die in der Ferne verschwimmenden Felsengebilde der Sächsischen Schweiz, hinüber auf die Prachtbauten von Hofkirche, Schloß und Museum, hinab auf den von Dampfern, Lastkähnen und Holzflößen belebten Strom, auf dem sich ehedem ein verschwenderischer Hof mit Wasserjagden, venetianischen Lustflotten und römischen Feuerwerken ver­gnügt hatte. Wie angenehm mußte es sich in dieser Umgebung sitzen und träumen unter dem Säulenbau des feinen Kaffee­hauses Torniamenti! Aber freilich, für einen Schulfuchs, auch einen mit Bartwuchs gesegneten, war das nicht bestimmt, der hatte zu wenig Geld und zu viel zu tun. – Hier wurde ich bald nach meiner Ankunft in Dresden zufällig Zeuge eines grausigen Schauspiels. An einem Novembermorgen tönten mitten

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Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/41&oldid=- (Version vom 27.5.2024)