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und der im Hintergrunde aus dem Elbnebel aufragende Lilienstein erschien mir wie in einen Trauerschleier gehüllt. Von dem Augenblicke an folterten mich alle Qualen der Eifersucht. Eine Zeitlang besuchte ich dann die ahnungslose Beherrscherin meiner Gefühle noch in ihrer Wohnung auf der Mosczinskystraße und genoß an ihrem Tische das Glück ihrer Nähe. Endlich trat die geargwohnte Verbindung wirklich ein, ich fühlte im Innern einen luftleeren Raum. Wie hätte jedoch eine verwöhnte Amerikanerin eine gute deutsche Hausfrau werden können! Als ich später erfuhr, welch unglücklichen Ausgang die von mir beneidete Ehe ge­nommen, war ich in tiefster Seele bewegt. Die Liebe soll sich nicht vermessen, ein trennendes Weltmeer überbrücken zu können. „Des Meeres und der Liebe Wellen“, ein Trauerspiel!

Peschel vermittelte mir mehrmals auch die Bekannt­schaft mit einem jungen Engländer, damit dieser bei der Unter­haltung auf gemeinsamen Spaziergängen sich im deutsch, ich mich im englisch sprechen üben sollte. Beim ersten Zu­sammentreffen in einem Fremdenheim auf der Prager Straße brach mir der Angstschweiß aus, da zunächst keiner eine Silbe von dem andern verstand. Aber allmählich tauchten mir aus dem quirlenden Sprachbrei des Engländers einzelne Worte deutlich auf, und ich hielt sie krampfhaft fest, um daraus not­dürftig einen Sinn zusammenzuleimen. Aus dem anfänglichen Radebrechen wurde schließlich doch eine Art Zwiegespräch. Der erste dieser Söhne Albions, ein Walliser, war ein prahle­rischer Sportsmann: er hielt den Ruderwettstreit zwischen Oxford und Cambridge für wichtiger als alle Kriege der Welt­geschichte und versprach beim Abschiede, mit seinem Segelboote die Elbe heraufzufahren, um mich zu einem Besuche in Eng­land abzuholen. Da konnte ich lange warten! Der zweite, ein Schotte, lebte ganz in religiösen Schwärmereien, noch später suchte er brieflich mich davon zu überzeugen, daß ein in

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Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/35&oldid=- (Version vom 28.6.2024)