Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/32

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Sommer das Übel – nämlich den Rheumatismus, nicht die Eitel­keit – zum Verschwinden. Nun nahm ich aber zur Stärkung mei­ner stiefmütterlich gepflegten Körperkraft wenigstens Schwimm­unterricht. Ich sagte mir, wie leicht kann es kommen, daß man im späteren Leben einmal gegen den Strom schwimmen muß, des­halb wird es gut sein, beizeiten zu lernen, wie es gemacht wird.

Sonntags lud mich die Wirtin bisweilen zu Tische. Sie war ein liebenswürdiges, ehemals gewiß auch hübsches Fräulein von einigen fünfzig Jahren, in ihrer Herzensgüte un­ermüdlich bestrebt, mir das Dasein freundlich zu gestalten und dabei die Härten meiner Gemüts- und Charakterbildung abzuschleifen. Als ein Muster an Tüchtigkeit, Anspruchs­losigkeit und Menschenfreundlichkeit stellte sie mir mit Vorliebe einen ihrer Jugendbekannten, den königlichen Leibarzt Fiedler, vor Augen; ich habe ihr Urteil später bestätigen können, als ich dem ausgezeichneten Manne in wissenschaftlichem Verkehr selbst freundschaftlich näher trat. Für ihre Person durchaus bescheiden, erzählte sie doch gern von mehr als einem Freier, den sie in ihrer Jugend abgewiesen. Ihr großer Kater Peter hörte dann verständnisinnig schnurrend zu, aus seinen grün­schillernden Augen leuchtete der Stolz, daß er allein sich ihrer Zuneigung rühmen dürfe. Er schloß dies wohl auch daraus, daß es ihm erlaubt war, beim Essen nicht bloß wie ich an, sondern auf dem Tische zu sitzen und bei besonderen Bissen sogar mit zuzulangen. Jedoch der schwarze Peter irrte sich, ich hatte ihm, wie sich nachträglich herausstellte, unbewußt den Rang abgelaufen. Wenige Wochen nach meinem Schei­den von Dresden schrieb mir die Gute: „Je dunkler der Grund eines Gemäldes ist, desto schöner treten die lichten Gestalten auf demselben hervor. Wenn ich mir nun unter dem dunkeln Gemälde mein Leben vorstelle, so male ich mir im Geiste Sie, bester Otto, als eines jener lichten und freundlichen Wesen, die auch aus der Ferne her in schönen Farben vor meine Seele treten.“ Ein goldnes Ringlein, das sie mir beim Abschiede

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/32&oldid=- (Version vom 27.6.2024)