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Feuersgefahr bestand getreue Nachbarschaft, und jeder war bereit, dem andern mit dem Löscheimer zum Schutze des ge­fährdeten Strohdaches beizuspringen. – Beim Feldmessen, das unter Bothes Leitung im Herbst auf Stoppelfeldern an der Großenhainer und an der Radeberger Straße geübt wurde, hinderte mich meine Kurzsichtigkeit, auch nur einen so kleinen Erdteil wie Europa zu überblicken; ich habe daher leider nichts zur Förderung der europäischen Gradmessung beitragen können. Das Glas Bier, das wir nach der Arbeit zusammen mit dem Lehrer einnahmen, ließ ich mir trotzdem als wohlverdient schmecken. – In der Sekunda und Unterprima unterrichtete noch ein anderer, jüngerer Mathematiker. Er war gewiß auch nicht untüchtig, stand aber, wenn er sich an der Wandtafel in einer algebraischen Aufgabe verwickelt hatte, den Angstschweiß von der Stirn wischend, so hilflos vor der hohnlachenden Klasse, daß es mir jedesmal in der Seele wehtat. Das Bild dieses ängstlichen kleinen Lehrers, der den großen Schuljungen weder durch geistige Schlag­fertigkeit noch durch körperliche Überlegenheit Achtung abzunötigen vermochte, hat mir später, als es sich für mich um die Berufswahl handelte, warnend vor Augen gestanden.

Die beschreibenden Naturwissenschaften lehrte der eifrige, aber eckige und spottsüchtige Engelhardt, der nicht akademisch gebildet war, jedoch als Forscher in der Versteinerungskunde einen guten Namen besaß. Es war etwas Ungewöhnliches, daß der seines Faches stets sichere Naturwissenschaftler einmal bekennen mußte, nicht zu wissen, was der Name Pläner be­deute, denn die Richtigkeit der üblichen Herleitung vom lateinischen planus (eben, flach) sei doch sehr zweifelhaft. Das beschäftigte mich immer, wenn ich bei Spaziergängen in der westlichen Umgegend der Stadt auf das dort häufig zutage tretende flachgelagerte Plänergestein stieß. Da machte es mir zehn Jahre nachher Vergnügen, aus alten Stadtrechnungen nachweisen zu können, daß dieser Kalk im

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Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/25&oldid=- (Version vom 21.6.2024)