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einem bloßen Lastgaul auswachsen würde. Auf dem sprachlichen Gebiete bestand ich die Probe glänzend, der Haken lag bei der Mathematik. Die Prüfung in den Gleichungen zweiten Grades ward für mich zu einem Mißerfolg ersten Grades. Der wohlwollende Rektor Niemeyer hätte es dem siebzehn­jährigen Jüngling gern erspart, sich unter die vierzehnjährigen Knaben eingereiht zu sehen, aber der gestrenge Mathematiker glaubte nicht, daß sich die von mir kühn übersprungenen Lücken meines Selbstunterrichts so leicht würden ausfüllen lassen. Da saß ich nun am nächsten Tage als Letzter auf der hintersten Bank der Tertia. Bald gesellte sich mir ein Allerletzter hinzu, der von einer Privatschule kam, Georg von Zobel. Er stand an Alter und auch an Bartwuchs kaum hinter mir zurück, und auf Grund dieser Ähnlichkeit wurden wir gute Freunde. Seine Begabung lag auf anderm Gebiete als die meinige, sonst hätte er es später nicht bis zum Generalleutnant der Artillerie gebracht. Für längeren Aufenthalt erschien mir aber die Stelle, wo mein Schifflein gelandet war, nicht geeignet, ich beschloß deshalb frischen Dampf zu machen und gab der Maschine die Weisung: mit ganzer Kraft vorwärts!

Es war vielleicht ein Glück für mich, daß ich erst im vor­geschrittenen Jünglingsalter auf die Schule kam, denn die gereiftere Einsicht lehrte mich die Schuljahre gut ausnützen. Der Unterricht in der Tertia bot mir keine Schwierigkeiten und doch in manchen Fächern fesselnde Anregung, namentlich bei dem Geschichts- und Sprachlehrer Dr. Petzoldt, einem redebegabten, feurigen Vaterlandsfreunde. In Augenblicken der Begeisterung oder des Zornes schmetterte die helle Stimme des hochgewachsenen Germanen wie eine Kriegstrompete über unsere Köpfe hin und weckte alle Träumer zu gespanntem Aufmerken. – Ich war in vielen Dingen meinen Mitschülern voraus. Wir hatten als deutschen Aufsatz einmal die schrift­liche Bestellung eines Schreibepultes abzufassen. Meine Angaben über den Gegenstand waren so anschaulich und die

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Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/18&oldid=- (Version vom 13.6.2024)