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im Auge haben muß. Das Glück der Söhne – es kann sich nur um Archelaos, Antipas und Philippos handeln – hat jedoch nach Strabon nicht angedauert: sie sind angeklagt worden und der eine d. h. Archelaos (s. S. 172f.) ist auch im Anschluß an die Anklage nach Gallien verbannt worden, während die beiden anderen – Antipas und Philippos – ‚θεραπείᾳ πολλῇ μόλις εὕροντο κάθοδον, τετραρχίας ἀποδειχδείσης ἑκατέρῳ‘. Aus der letzten Bemerkung darf nun auf keinen Fall geschlossen werden, daß die beiden überhaupt erst damals im Anschluß an die Anschuldigungen ihre Tetrarchien erhalten haben. Dies würde unserem ganzen sonstigen Wissen, aber auch der Darstellung Strabons selbst widerstreiten, der ja vorher von der τιμή aller Söhne gesprochen hat. Es ist also hieraus nur zu folgern, daß man Herodes Antipas und Philippos damals ihre Tetrarchien gelassen hat, daß sie in deren Besitz neu bestätigt worden sind; dies hat allerdings Strabon, da er hier zugleich eine genauere Angabe über die vorher erwähnte τιμή der Söhne nachholen will, nicht ganz glücklich ausgedrückt (vgl. übrigens Joseph. ant. Iud. XVIII 27 und hierzu S. 181). Wir erfahren also aus Strabon, daß zusammen mit Archelaos auch Herodes Antipas und Philippos im J. 6 n. Chr. vor Angustus angeklagt worden sind, daß sie sich jedoch anders als der älteste Bruder haben rechtfertigen können, und daß ihnen die Rückkehr in ihre Reiche gestattet worden ist. Freilich geschah dies μόλις, was auf den Ernst der Situation hinweist, und θεραπείᾳ πολλῇ.

Vielleicht gestattet uns nun Cassius Dio durch seine Angabe über den Grund der Verbannung des Archelaos: ‚αἰτίαν τινὰ ἀπὸ τῶν ἀδελφῶν λαβών‘, ein Urteil, worin unter anderem diese θεραπεία bestanden hat. Sollten etwa die Brüder, um sich selbst zu retten, alle Schuld auf Archelaos geschoben haben? Es erhebt sich natürlich sofort die Frage, worin die gegen Antipas und seine Brüder erhobene Anschuldigung bestanden hat; die gleichzeitige Anklage und Entscheidung, sowie das allem Anschein nach erfolgte Abwälzen der Anklage auf einen weisen uns darauf hin, daß ein und dieselbe Beschuldigung gegen alle erhoben worden sein muß. Joseph. bell. Iud. II 111; ant. Iud. XVII 342ff. gibt nun als Grund für die Anklage und Verurteilung des Archelaos nur die Klagen seiner Untertanen wegen seines tyrannischen Regiments. Man kann hiergegen als einzigen Grund jedoch schon an und für sich Bedenken hegen. Die außergewöhnlich brüske Art des Vorgehens des Augustus gegen Archelaos – der jüdische Gesandte am römischen Hofe wurde angewiesen, seinen Herrn schleunigst zur Verantwortung nach Rom zu bringen, einer direkten Aufforderung wurde dieser garnicht mehr gewürdigt – verstärkt alsdann die Bedenken noch beträchtlich, daß allein die Bedrückung der Untertanen zu dem Vorgehen mit all seinen Folgen geführt habe. Da schließlich der Grund des Josephus der soeben aufgestellten Forderung einer alle Brüder in gleicher Weise treffenden Beschuldigung nicht gerecht wird (s. auch bezüglich des Regiments des Philippos das uneingeschränkte Lob bei Joseph. ant. Iud. XVIII 106f.), so darf man wohl annehmen, daß Josephus auch hier, wie er überhaupt über das Regiment der Herodessöhne nur [180] ganz aphoristisch berichtet[1], nicht ausreichend orientiert gewesen ist; es muß vielmehr zu der Anschuldigung


  1. *) Zwei der Hauptquellen des Josephus für Herodes I., Nikolaos von Damaskos und der jüdische Anonymus, haben offenbar beide diese Zeit nicht behandelt, und der von ihm auch in diesen späteren Abschnitten noch verwertete anonyme Universalhistoriker hat eben ausführlichere Angaben nicht enthalten (über die genannten Quellen s. meine Bem. auf S. 4ff.). Die weitere Verwertung des Universalhistorikers nimmt auch Wachsmuth Einleit. i. d. Stud. d. alt. Gesch. 445 an unter Verweis auf Joseph. ant. Iud. XVIII 54. Für ihn spricht auch die durchaus sachliche, nicht chronologische Gruppierung der Tatsachen in den der Regierung der einzelnen Herodessöhne gewidmeten Abschnitten (diese Anordnung auch schon von Ewald V 105,1 als bemerkenswert hervorgehoben) und der ganze Charakter der Darstellung des Josephus mit ihren großen, offenbar durch die Quelle und durch Materialmangel für das eigentliche Thema bedingten Exkursen über nichtjüdische Geschichte und dem ganz verunglückten Versuch, die sachlich geordnete Darstellung der Quelle in eine chronologisch orientierte Erzählung umzuwandeln (s. z. B. ant. Iud. XVIII 106, wo ein Ereignis des J. 34 n. Chr., der Tod des Tetrarchen Philippos, durch τότε an Vorgänge des J. 36 n. Chr. angeknüpft wird; ferner ant. Iud. XVIII 109ff., wo zeitlich weit auseinanderliegende Ereignisse durch ein einleitendes ἐν τούτῳ auf das J. 34 n. Chr. gestellt werden [vgl. hierzu S. 186] und s. auch die Bemerkungen über § 90, wo sogar bereits ein Ereignis des J. 37 n. Chr. vorausgenommen ist [S. 192*]. Schließlich ist für die ganze Darstellungsform, wenn es sich hierbei auch um kein Ereignis aus der jüdischen Geschichte handelt, besonders kennzeichnend die Verknüpfung des Todes des parthischen Königs Phraates IV. im J. 3/2 v. Chr., durch ‚κατὰ τοῦτων τὸν χρόνον‘ mit Vorgängen aus der Regierungszeit des Tiberius, s. § 39 gegenüber § 35–38. Dieselbe Art der ungenügenden chronologischen Verknüpfung findet sich bei Josephus auch in den vorhergehenden Büchern, wodurch die Neueren immer wieder irregeleitet worden sind; nur an den bekanntesten Beleg sei hier erinnert, an die früher allgemein übliche falsche Ansetzung des Hohenpriesters Iochanan, des persischen Statthalters Bagoas usw. unter Artaxerxes III. statt unter Artaxerxes II. [dies haben uns die aramäischen Papyri von Elephantine erkennen lassen, s. Sachau Aram. Papyr. nr. 1ff.]; sie ist gegenüber den ausdrücklichen Angaben des Textes bei Joseph. ant. Iud. XI 297 allein im Vertrauen auf die falsche chronologische Angabe in § 304 vorgenommen worden. S. auch den 2. Abschnitt: Herodes I. passim. Die Bedeutung dieser Anknüpfungsprinzipien ist für die Quellenanalyse bei Josephus bisher noch nicht erkannt worden). Täubler (Die Parthernachr. bei Joseph., Berl. Dissert. 1904, 58ff.) nimmt freilich z. B. für die in diesem Zusammenhang gebotenen parthischen Nachrichten selbständige Verwertung der Primärquellen, so auch die von ,Memoiren des Herodes Antipas‘, durch Josephus an. Dies ist jedoch unbedingt verfehlt. Denn hätte Josephus wirklich ein Werk wie Memoiren des Antipas WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt vorgelegen, dann würde er es doch nicht nur in einem einzigen Falle, bei dem Friedensschluß Roms mit dem Partherkönige Artabanos, herangezogen, sondern auch sonst verwertet haben; von einer eingehenderen Kenntnis des Lebens des Antipas findet sich aber im übrigen auch nicht die geringste Spur, wenn man von dem Bericht über die Verbannung des Tetrarchen absieht, der aber als inhärierender Teil der Agrippaerzählung aufzufassen ist und seiner Tendenz nach nicht auf Memoiren des Antipas zurückgehen kann (Joseph. ant. Iud. XVIII 240ff.). Die direkte Benützung von Antipasmemoiren, aber auch von etwas Ähnlichem, durch Josephus ist also zu streichen; die eine wirklich genaue Schilderung in § 101ff. muß ihm demnach vielmehr gerade indirekt zugeflossen sein. Welches hier die Primärquelle ist, bleibe noch unentschieden.
Empfohlene Zitierweise:
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/110&oldid=- (Version vom 10.6.2023)