Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

auf das eigene Volk, gerade als Ausfluß der Verschmelzungspolitik erklären; er hatte offenbar die Hoffnung sich hierdurch wichtige Elemente des Judentums zu verbinden und in ihnen leichter zu gewinnende Helfer zu finden, da er diesen Juden infolge ihrer Trennung vom Mutterlande und ihres Wohnens in Gebieten der hellenistischen Kultur geringere Antipathie gegen seine Bestrebungen zutraute. Im Mutterlande selbst hat er dagegen gerade die Vertreter der strengsten Richtung, die Pharisäer, von denen selbstverständlich der schärfste Widerstand zu erwarten war, für sich zu gewinnen versucht, wohl nicht in der Hoffnung, auch sie zum Hellenismus bekehren zu können, wohl aber, um in ihnen nicht zu erbitterte Gegenspieler auch gerade gegenüber seiner Verschmelzungspolitik zu besitzen.

Ein Erfolg ist dem König jedoch trotz aller seiner Bemühungen nicht beschieden [RE:155] gewesen, jedenfalls keiner, der über die Gewinnung einzelner hinausgegangen wäre, und als er im J. 6 v. Ch. erkennen mußte, daß die Pharisäer unversöhnlich seien, da hat er diese Politik aufgegeben: er hat von jetzt an das Judentum nicht mehr als einen mit zu berücksichtigenden Faktor behandelt, sondern ist nunmehr auch im eigenen Lande für den Hellenismus ohne jede Rücksicht auf jüdisches Gesetz und Herkommen eingetreten.

Das völlige Scheitern dieser Verschmelzungspolitik darf man nicht zurückführen auf die geringe Geschicklichkeit des Königs[1], mag er auch manchmal durch seine Maßnahmen das Judentum stark und auch sogar unnötig verletzt haben. Daß derartiges vorkam, war eben unvermeidlich; das lag in der Sache selbst, in der vollständigen Unvereinbarkeit von Hellenismus und Judentum. Beidem konnte man in jener Zeit nicht mehr gerecht werden; denn das Judentum befand sich damals gerade in einer Periode der neuen Erstarkung. Es herrschte eine ganz andere Atmosphäre als zu der Zeit des Antiochos Epiphanes, wo der jüdische Hohepriester es wagen konnte, in Jerusalem ein Gymnasion zu errichten, wo selbst Priester sich an den Wettkämpfen beteiligten und man sich seiner Beschneidung schämte (I. Makk. 1, 11ff. II. Makk. 4, 11ff. Joseph. ant. Iud. XII 240f.). Die makkabäische Erhebung hatte das jüdische Volk aufgerüttelt; sie war das erste deutliche Anzeichen, daß der neu erstarkende Orient sich nicht nur politisch, sondern auch kulturell von der griechischen Herrschaft wieder freizumachen bestrebt war (hier ist zum erstenmal [160] in der orientalischen Reaktion das politische Moment dem kulturellen nachgefolgt und nicht wie bis zu dieser Zeit das letztere dem ersteren). Diese allgemeine kulturelle Gegenaktion des Orients hatte nun aber seitdem nicht still gestanden, der Hellenismus war seit dieser Zeit weiter orientalisiert worden; der Orient war zwar noch sehr weit davon entfernt, der Herr der Kultur des Ostens zu werden, aber die ersten Anzeichen dieser zukünftigen Entwicklung sind doch schon damals vorhanden gewesen.[2] So hatte auch [RE:156] das Judentum seit den Zeiten des fünften Antiochos[3] ein ganz anderes, viel starreres Gepräge durch das Auftreten der Pharisäer erhalten (beachte auch die Bemerkungen von Geffcken Neue Jahrb. d. klass. Altert. XXIX 601f.). ,Die Religion war zum bürgerlichen und geistlichen Recht geworden‘ (Wellhausen 299), und es ist wohl kaum ein Zufall, daß gerade die berühmtesten jüdischen Schriftgelehrten, die für die Ausprägung des jüdischen Glaubens und der Sitte im einzelnen von besonderer Bedeutung geworden sind, dem 1. vorchristl. und dem Anfang des 1. nachchristl. Jhdt. angehört haben (Schürer II⁴ 421ff.). Sehr charakteristisch für das palästinische Judentum jener Zeit erscheint mir schließlich auch die synoptische Tradition, deren Entstehung man auf diese jüdischen Kreise zurückzuführen hat: in ihr findet sich echt griechisches Gut mit Sicherheit so gut wie garnicht; das religiös-philosophische Denken war hier eben im wesentlichen orientalisch (s. Harnack Lukas der Arzt 118 und jetzt auch Norden Agnostos Theos


  1. Man darf nicht die Popularität Agrippas I. beim jüdischen Volke als Beweis für das Gegenteil verwerten. Der erste Agrippa hat allerdings in mancher Hinsicht nicht anders gehandelt, als sein Großvater; so hat auch er den Hellenismus ausserhalb des Reiches stark begünstigt. Aber den Juden gegenüber hat er als König anders als der erste H. eine streng jüdisch-nationale Politik verfolgt und nicht daran gedacht, wohl gewarnt durch das Vorgehen des Großvaters, auch nur irgendwelche Hellenisierungstendenzen in eigenem Lande zu verfolgen; er hat sich vielmehr dort, abgesehen von der Anbringung des Bildnisses auf seinen Münzen, ganz als bigotter Jude gegeben (s. Schürer I³ 553ff.).
  2. Eine Geschichte der Entwicklung des Hellenismus im Osten und des allmählichen Wiedererstarkens des Orients fehlt bisher noch ganz, und doch scheint es mir, daß wir nur, wenn wir die Entwicklung stets im Auge behalten, manche Streitfrage zu lösen vermögen. So glaube ich z. B., daß die bekannte Streitfrage über den Hellenismus in Syrien zwischen Mommsen Röm. Gesch. V 449ff. und Nöldecke ZDMG XXXIX 392ff. nur auf einer falschen Problemstellung, der nicht genügenden Berücksichtigung des entwicklungsgeschichtlichen Moments beruht, und daß ihre Lösung sich bei dessen Heranziehung ohne weiteres ergibt. Welches interessante und die ganze Frage sehr fördernde Problem erwächst dann z. B. allein aus der Beobachtung des Wiederauflebens der alteinheimischen Sprachen des Ostens und dem Zurückweichen des Griechischen vor ihnen; welche grundlegenden Folgerungen für die gesamte Entwicklung lassen sich allein hieraus ziehen! Weite Perspektiven hat hier der Aufsatz von K. Holl Herm. XLIII 240ff. für Kleinasien eröffnet; daneben ist aber natürlich Ägypten und die Schöpfung des Koptischen seit dem 3. Jhdt n. Chr., sowie die Entwicklung des Aramäisch-Syrischen (seit dem 3. Jhdt. n. Chr. kann man von dem letzteren sprechen) und manches andere sprachliche Moment zu beachten. Aber selbstverständlich eröffnet nicht nur die Sprache einen Einblick in die Entwicklung, sondern ebensowohl alle anderen Kulturfaktoren, vor allem natürlich die Religion.
  3. Bezüglich der Umnumerierung des Antiochos Epiphanes s. meinen Art. Heliodoros Nr. 6 in Pauly-Wissowas Realencykl. VIII 14f. 1305.
Empfohlene Zitierweise:
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/100&oldid=- (Version vom 5.11.2022)