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seine Reue nicht jene echte, welche den Menschen läutert, sondern nur jene, welche in dem Wüten gegen sich selbst, gegen das eigene unbedachte Handeln sich nicht genug tun kann, aber schließlich ohne Nachwirken vergeht. Auch dies ein Zeichen, daß der König keine moralisch auch nur irgendwie feiner organisierte Natur, [RE:149] sondern daß er gerade das Gegenteil einer solchen war. So hat er Lug und Trug nicht verschmäht (besonders charakteristisch hierfür erscheint mir das, was wir von dem Inhalt seiner Memoiren wissen, s. S. 3*), 46f. und 50; s. auch etwa ant. Iud. XV 330), und so erklärt sich auch sein anscheinend so widerspruchsvolles Verhalten zu seiner Familie. Denn H. ist keinesfalls als eine lieblose Natur aufzufassen, eher als eine geradezu liebebedürftige; hing er doch mit zum Teil leidenschaftlicher Liebe an seiner Mutter[1], seinen Geschwistern[2], seinen Frauen, auch an seinen Kindern und Enkeln (die Liebe des Königs auch zu den Mariammesöhnen wird ant. Iud. XVI 11, d. h. an einer Stelle, wo keine für H. freundliche Quelle vorliegt [s. S. 134*)] ausdrücklich hervorgehoben; s. dann auch außer seinem Verhalten in Aquileja und dem König Archelaos gegenüber etwa bell. Iud. I 473. 481; ant. Iud. XXI 205. Für die Liebe zu den Enkeln s. bell. Iud. I 555ff.; ant. Iud. XVII 12ff.).

Wahrer Aufopferung war jedoch diese seine Liebe nicht fähig, das eigene Ich ging immer vor. Sie begründete nicht einen Zustand des vollen Vertrauens zu denen, die er liebte, und so hat H. auch diese, selbst Weib und Kinder, nicht geschont, wenn sie gegen ihn zu sein schienen. Und zwar hat er sie nicht nur in blinder Wut, in Übereilung vernichtet, sondern – seine Söhne wenigstens – wenn auch nach langem Schwanken, so doch nach reiflichster Überlegung in der festen Überzeugung, so handeln zu müssen. Er war eben hart und rücksichtslos, ja sogar wild und grausam (s. auch ant. Iud. XVII 191. XIX 329). Diese Züge seines Charakters traten vornehmlich in Erscheinung, wenn sein leicht entzündliches furchtbares Mißtrauen geweckt war. Dieser finstere, schon fast krankhaft zu nennende Argwohn des Königs, unter dem er selbst sehr zu leiden hatte (s. z. B. bell. Iud. I 492ff.; ant. Iud. XVI 235ff. 251f.), war überhaupt sein Verhängnis. Denn ihm gegenüber verließ ihn sein sonst so scharfer Blick. Dann ließ er sich leicht von anderen beeinflussen, bis endlich sein vulkanisches Wesen sich in einer furchtbaren Explosion entlud. Sich selbst zu zügeln, seine Leidenschaften, vor allem seinen Zorn zu beherrschen, war ihm nicht gegeben.

Er war schließlich auch eine stark sinnlich veranlagte Natur, für Frauenschönheit sehr empfänglich (hierauf weisen uns seine vielen Heiraten hin, für die vor allem die Schönheit der Frauen, die er für sich besitzen wollte, maßgebend gewesen sein soll, s. bell. Iud. I 477; charakteristisch ist die Erzählung von seiner Verheiratung mit der zweiten Mariamme; ant. Iud. XV 319ff. S. auch die [154] Bemerkungen Schürers I³ 406, 127 über die Gesetzlichkeit dieser Vielweiberei). Schlimmen Ausschweifungen scheint er jedoch nicht ergeben gewesen zu sein (wenn die Juden in ihrer Anklagerede vor Augustus von der Schändung der jüdischen Frauen und Mädchen durch H. sprechen [ant. Iud. XVII 309], so ergibt die Form dieser Anklage – man will die einzelnen Fälle mit Stillschweigen übergehen! – daß selbst diese Hauptankläger Sicheres hierüber nicht vorbringen konnten; [RE:150] man darf also dies nicht gegen den König verwerten. S. hierzu auch den Tenor der Erzählung in ant. Iud. XV 319ff. Der ant. Iud. XVII 44 erwähnte Lustknabe des Königs ist nach den damaligen Sitten zu beurteilen und hieraus für H. auch kein besonderer Vorwurf abzuleiten. Ewald IV³ 575f. urteilt über dies alles ganz falsch. Und wenn uns schließlich von Trinkgelagen erzählt wird, durch die H. seinen Schmerz über den Tod der ersten Mariamme zu betäuben versuchte [ant. Iud. XV 241], so liegt kein Anlaß vor, dies zu verallgemeinern. Das Schweigen der Tradition über Ausschweifungen des Königs scheint mir auch geeignet, sie als nicht vorhanden zu erweisen).

Die Hauptfehler des Menschen H., egoistische Härte und Argwohn, mögen mit den Jahren gewachsen sein; das Milieu seines Hofes mit den vielen Weibern, den Eunuchen, den Buhlknaben und Hofschranzen, mit seinen vielen schlechten Elementen, seinem Sohn Antipatros und seinen Geschwistern Salome und Pheroras an der Spitze, mag auch einen ungünstigen, sein Mißtrauen und sein Allmachtsgelüste steigernden Einfluß ausgeübt haben, aber man hat hier doch mit einer ursprünglichen Veranlagung zu rechnen (s. auch das Urteil ant. Iud. XVI 10) und darf daher auch die Schuld, die der Mensch H. infolge dieser Fehler auf sich geladen hat, nicht mehr oder weniger auf die Verhältnisse und auf seine Umgebung abwälzen (dies möchte Willrich Judaika 28 tun). Denn wenn ein Mensch von der Urteilskraft und dem Scharfblick des Königs sich von dem Gesindel um ihn so leicht umstricken ließ, so ist dies eben geschehen, weil seine Natur geneigt war, dem Bösen Glauben zu schenken. Er hat das Schlechte um sich so zum Teil selbst groß gezogen, und hat sich selbst trotz alles äußeren Glücks unglücklich gemacht (s. ant. Iud. XVII 192). Andererseits sollte man aber auch nicht das Bild des Königs dadurch verzeichnen – selbst Mommsen R. G. V 506 tut dies immerhin –, daß man die Greueltaten in dem Königshause als etwas ganz Besonderes hinstellt. Ähnliches oder sogar noch Schlimmeres begegnet uns in der hellenistischen Geschichte allenthalben – man braucht nur an den großen Mithridates zu denken, der doch in noch ganz anderem Maßstabe als H. der Henker seiner Familie gewesen ist –, aber auch die Geschichte der Renaissance oder die manches orientalischen Königshofes (s. z. B. die interessanten Angaben bei v. Gutschmid Gesch. Irans 117, 1) zeigen uns dieselben blutigen Bilder.

Das, was uns das Bild des Menschen H. trübt, wirft auch seine Schatten auf den Regenten. Die Staatsraison des Verwandtenmordes, der H. ebenso wie mancher andere Gewaltmensch der


  1. Das Geschichtchen ant. Iud. XIV 356ff. ist freilich erfunden, s. S. 26
  2. S. außer seinen Handlungen auch die Urteile bell. Iud. I 275. 485
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Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/097&oldid=- (Version vom 1.8.2018)