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[RE:94] nur sehr streng, sondern es scheinen bei ihr in echt antiker Weise auch Überschreitungen, der Zwang, große Bakschisch zu geben, sehr eingerissen gewesen zu sein (ant. Iud. XVI 154. XVII 308; παρακαταβολή hat man hier natürlich nicht in dem technischen Sinne des Wortes zu fassen. Ob im Reiche des H. für die Steuererhebung Regie oder Pacht im Gebrauch gewesen sind, läßt sich leider nicht entscheiden, da bei den sich bereichernden φίλοι usw., sowie bei den als Einnehmer verwandten δοῦλοι, sowohl königliche Beamte und Sklaven, als auch Pächter mit ihren Privatsklaven gemeint sein können. Das Wahrscheinlichste ist eine Mischung der beiden Systeme; auch in der Steuerverwaltung der Kaiserzeit sind Sklaven sowohl von den Pächtern als auch von den Prokuratoren, d. h. private wie kaiserliche, beschäftigt worden; s. z. B. Hirschfeld a. a. O. 59ff. 75. 86. 88. 105. 108). Hiervon abgesehen scheint die Finanzverwaltung sehr wohlgeordnet gewesen zu sein; nach dem Tode des Königs konnten ohne weiteres die Abrechnungen dem Kaiser zur Prüfung vorgelegt werden (bell. Iud. II 24; ant. Iud. XVII 228), und es muß sogar so etwas wie ein genaues Budget aufgestellt gewesen sein, da man nicht nur über die Höhe der Einnahmen aus den verschiedenen Provinzen, sondern auch über die aus einzelnen Orten genau orientiert gewesen ist (s. auf S. 91 die Angaben über die Einnahmen der als Herrscher bestellten H.-Söhne und der Salome, sowie die über die Einkünfte des dem Antipatros zugewiesenen Landstriches).

Die rücksichtslose Strenge, die uns bei der Steuereintreibung entgegentritt, darf man alsdann als ein weiteres wichtiges Merkmal des herodianischen Regiments überhaupt bezeichnen, und man muß sich bei aller Anerkennung der Fürsorge des Königs für sein Land immer vor Augen halten, daß seine Rücksichtslosigkeit sehr oft in schlimmste Grausamkeit ausgeartet ist. Rücksichtslose, ja grausame Strenge hat er schon als junger Mensch, als er die Statthalterschaft von Galiläa erhielt, geübt (s. S. 19), durch sie ist auch der Anfang seiner Regierung mit ihren Hinrichtungen und Konfiskationen gekennzeichnet, und sie begegnet uns immer wieder während ihrer Dauer sowohl in seinem Vorgehen gegen die Mitglieder seines Hauses als gegen seine Untertanen. Von zahlreichen Hinrichtungen, vor allem der vornehmen politischen Gegner, als einem Charakteristikum der Herrschaft, spricht ebensowohl die Anklagerede der Juden vor Augustus (ant. Iud. XVII 305ff.), als [98] der jüdische Anonymus (ant. Iud. XV 366) und der Verfasser der Assumptio Mosis (c. 6), und solcher Hinrichtungen sind uns denn auch genügend bekannt geworden (sehr kennzeichnend sind z. B. solche allgemeine Angaben wie ant. Iud. [RE:95] XVI 238ff; 258). Es soll sich zudem hierbei vielfach um Akte einer geheimen Kabinettsjustiz gehandelt haben; die Festung Hyrkania spielte die Rolle der Bastille. Bei H.s Tode waren die Gefängnisse voll von Gefangenen, die hier schon schmachteten (bell. Iud. II 4; ant. Iud. XVII 204). Im Strafen war er von unerbittlicher Strenge gegen alle Übertreter seiner Verordnungen (ant. Iud. XV 326. 366–368; in § 326 waltet eine enkomiastische Tendenz vor!).

Seine Untertanen sind in ihrer bürgerlichen Freiheit aufs empfindlichste beschränkt worden; das Versammlungs(Vereins-)recht war ihnen ganz genommen. Eine über das ganze Land verteilte Geheimpolizei diente zur Beobachtung und zum Ausspionieren des Volkes (bell. Iud. I 492; ant. Iud. XV 285. 366f. XVI 82. 236. Der jüdische Anonymus [ant. Iud. XV 367] erzählt, daß sich H. auch selbst in Bürgerkleidung zur Nachtzeit unter das Volk gemischt und spioniert habe. Diese echt orientalische Erzählung à la Harun al Raschid wird man wohl aber streichen dürfen). Es ist jedoch übertrieben, mit dem jüdischen Anonymus die vielen von H. angelegten Festungen vor allem als Zwingburgen gegen das eigene Volk zu fassen (ant. Iud. XV 291ff.). Denn ein gut Teil von ihnen, wie Machairus, das ostjordanische Herodeion, Esbon und Gaba, war allein zum Schutze gegen äußere Feinde bestimmt; den Typus der von H. eigens angelegten Zwingburg vertritt eigentlich allein Samaria, da Jerusalem, Masada, Hyrkania und Alexandreion von ihm nur stärker befestigt oder nur wiederaufgebaut worden sind, freilich auch sie dazu bestimmt, ihn und seine Schätze gegen seine inneren Gegner zu sichern (s. S. 44, auch ant. Iud. XV 383 und für Alexandreion bell. Iud. I 308; ant. Iud. XIV 419. Siehe auch die für die Zweckbestimmung wichtigen Stellen, wie z. B. ant. Iud. XV 184. 247ff. 424. XVI 317). Sehr charakteristisch ist es auch, daß die drei von H. neu gebauten Residenzschlösser in Jerusalem, Jericho und im judäischen Herodeion durch starke Befestigungsanlagen geschützt worden sind.

Dagegen wird man kaum als weiteres Mittel zur besonderen Sicherung der Herrschaft den Huldigungseid fassen dürfen (anders auch noch Wellhausen 339 im Anschluß an die Auffassung, die der jüdische Anonymus, ant. Iud. XV 368, von diesem Eid hat), den das jüdische Volk in den letzten Jahren der Regierung des H. ihm und dem Kaiser hat leisten müssen (s. S. 64f.). Da die frühere Ablegung eines Treueides für H. allein nicht zu belegen und auch nicht wahrscheinlich ist, so wird man mit der Annahme wohl nicht fehlgehen, daß der Anstoß zur eidlichen Verpflichtung von der römischen Regierung ausgegangen ist; diese hat eben den Treueid, welcher in den hellenistischen Reichen für den König üblich gewesen zu sein scheint[1],


  1. S. Cumont Rev. ét. gr. XIV 44; besonders instruktiv ist außer dem Eid der Paphlagonier WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt (Dittenberger Syll. [or.] II 532) der der Magneten, Dittenberger Syll. (or.) I 229, 61.
Empfohlene Zitierweise:
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/069&oldid=- (Version vom 1.8.2018)