Auch in der Zeit [RE:72] nach 20 v. Chr. hat H. es sich angelegen sein lassen, so oft als möglich in persönlichen Verkehr mit Augustus und dessen Schwiegersohn und präsumtiven Nachfolger Agrippa zu treten. So hat er etwa 18 oder 17 v. Chr. dem Kaiser in Rom einen Besuch abgestattet, wozu ihm das Abholen seiner dort noch befindlichen Söhne einen sehr willkommenen Anlaß bot (ant. Iud. XVI 6), und als im J. 16 v. Chr. Agrippa zum zweitenmal im Osten erschien, um hier anstatt des Kaisers nach dem Rechten zu sehen, da hat H. ihn diesmal sofort aufgesucht und ihn zu einem Besuche in Judäa aufgefordert (ant. Iud. XVI 12 – ἐπειχθείς). Dieser ist im J. 15 v. Chr. erfolgt und hat einen für H. sehr erwünschten Verlauf genommen. Agrippa ließ sich im ganzen Lande herumfahren und kam auch nach Jerusalem, wo er eine glänzende Aufnahme fand und sich für diese den Juden durch die Opferung einer Hekatombe im Tempel und durch eine Speisung des Volkes erkenntlich zeigte, so daß auch das jüdische Volk für ihn sehr eingenommen wurde (ant. Iud. XVI 12–15. 55f. Philo leg. ad Gaium § 37).
Ein Jahr darauf treffen wir H. wieder bei Agrippa (ant. Iud. XVI 16–26). Diesmal hat es sich jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um einen aus eigenem Antriebe unternommenen Besuch gehandelt, sondern Agrippa scheint den König zur Hilfeleistung für die von ihm beabsichtigte bewaffnete Intervention im bosporanischen Königreiche aufgeboten zu haben. Denn die Angabe bei Josephus, H. sei in Sinope mit seiner Hilfsflotte dem Agrippa ganz unerwartet gekommen (ant. Iud. XV 21), ist doch wohl eine Erfindung des Nikolaos zur Verherrlichung des Hilfszuges. Berichtet dieser doch auch, daß H. damals dem Agrippa im Kampfe beigestanden habe (ant. Iud. XVI 22), während der Römer tatsächlich gar nicht in die kriegerische Aktion eingetreten ist; die bosporanischen Wirren haben vielmehr schon durch sein Erscheinen im Schwarzen Meer ein Ende gefunden (Cass. Dio LIV 24, 6f.). Auf der Heimreise aus dem Schwarzen Meer hat H. seinen hohen Freund und Gönner durch einen großen Teil des inneren Kleinasiens bis an die ionische Küste und schließlich nach Samos begleitet.
Er hat damals allenthalben eine verschwenderische Freigebigkeit entfaltet (die zeitlos überlieferten Angaben im bell. Iud. I 425 über H.s [RE:73] Geschenke an Lykier, Samier und an Ionier wird man wohl auch auf diese Reise beziehen dürfen). Vor allem sind uns Einzelheiten für die Insel Chios bezeugt, der der König zur Wiederherstellung der im mithridatischen Kriege zerstörten großen [76] Stoa und zur Bezahlung von Abgabenrückständen (Ähnliches wird auch für kilikische Städte bezeugt, bell. Iud. I 428) die nötigen Gelder geschenkt hat. Für Chios machte er dann auch den erfolgreichen Fürsprecher bei Agrippa, und dasselbe tat er für Ilion (s. auch Nicol. Damasc. frg. 3. [FHG III 349f.]).
Schließlich hat er seinen Einfluß auch zugunsten der Juden in der Diaspora aufgeboten. Er ließ nicht nur die Beschwerden der kleinasiatischen Juden über Bedrückung und Nichtachtung ihrer Rechtsame durch seinen Vertrauten Nikolaos von Damaskos vor Agrippa vertreten (s. ant. Iud. XII 125–127. XVI 27–61. 167f.), sondern hat sich damals offenbar auch für seine Glaubensgenossen in Kyrene verwandt (ant. Iud. XVI 169f.). Agrippa hat daraufhin zugunsten der Juden entschieden: es sollte ihnen gestattet sein, nach ihren Gesetzen zu leben; sie sollten am Sabbat vom Erscheinen vor Gericht entbunden sein und die Tempelsteuer ungehindert nach Jerusalem schicken dürfen (s. besonders die Edikte des Agrippa, ant. Iud. XVI 167f. Darnach und nach der Formulierung des Bescheides des Agrippa, ant. Iud. XII 126, bezw. XVI 60: τοῖς αὐτῶν ἔθεσι χρῆσθαι, bezw. ἐν τοῖς οἰκεῖοις διατελεῖν ἔθεσιν, sind die weitergehenden Forderungen der Juden, sie nicht zum Kriegsdienst und zur Leistung von Liturgien zu zwingen (ant. Iud. XVI 28), abgelehnt worden [selbst Willrich Iud. u. Griechen vor d. makkab. Erheb. 9 hält sie noch für bewilligt]; diese Ablehnung ist jedoch bei Josephus durch die obige allgemeine Formulierung der Entscheidung geschickt verdeckt).
Die Fahrt des H. zu und mit Agrippa zeigt uns den König auf dem Gipfel seiner Macht. Sie läßt uns die seit Jahren ständig gestiegene Bedeutung erkennen, die man ihm in römischen Kreisen beimaß; sie zeigt uns seine enge Verbindung mit dem zweiten Manne des Reiches, und führt uns schließlich auch besonders deutlich vor Augen, welch bedeutsame Stellung sich der König über sein Land hinaus in den Kreisen der Reichsuntertanen im Osten des Mittelmeerbeckens errungen hatte. Es ist freilich zu beachten, daß Ehreninschriften, welche uns dies auch urkundlich bezeugen würden, so gut wie ganz fehlen – nur drei sind uns überkommen –, aber das Schweigen der Inschriften wird man doch wohl eher auf einen Zufall zurückführen dürfen, als aus ihm Schlüsse negativer Art abzuleiten. Die ‚Agrippa‘fahrt zeigt uns auch, auf welchem Wege H. sich seine angesehene Stellung verschafft hat. Denn das hilfsbereite Auftreten des Königs auf dieser Reise entspricht vollkommen der Freigebigkeit gegenüber dem nicht-jüdischen, vor allem dem griechischen Auslande, die H. schon seit langem geübt hatte (Willrichs Behauptung bei Ziebarth Ztschr. f. vergl. Rechtsgesch. XVI 277, 35, die meisten der damaligen Stiftungen des Königs seien auf Agrippas Einfluß zurückzuführen, erweist sich schon aus diesem Grunde als verfehlt; eine Begründung für diese Hypothese erscheint überhaupt ausgeschlossen).
Diese begegnet uns zum erstenmale bereits im J. 40 [RE:74] v. Chr.der Insel Rhodos gegenüber, als H. sich dort als Flüchtling auf seiner Reise nach Rom aufhielt (ant. Iud. XIV 378). Es ist ferner wahrscheinlich, daß die großen Geldspenden, welche H. für die
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/058&oldid=- (Version vom 1.8.2018)