Februar 37 v. Chr., ist H. vor Jerusalem erschienen und hat mit den Belagerungsarbeiten begonnen. Er selbst hat allerdings einige Zeit das Belagerungsheer verlassen, um noch mitten im Kriegsgetümmel mit seiner Braut Mariamme in der Stadt Samaria Hochzeit zu halten. Jetzt, wo der Sieg in naher Aussicht stand, wollte er endlich mit der Geliebten vereint werden, die ihm, wie er hoffen mochte, als seine Frau auch in seiner neuen Herrscherstellung nützlich sein würde. Das Belagerungsheer hat dann, als H. aus Samaria zurückkehrte, eine sehr beträchtliche Verstärkung erfahren, da inzwischen auch Sosius mit dem römischen Hauptheer in Palästina erschienen war. Trotz der großen Macht, über die die Belagerer verfügten, und trotz ihrer gewaltigen Anstrengungen hat sich Jerusalem gute fünf Monate gehalten. Für die Belagerten war es [RE:31] ein Kampf um Sein oder Nichtsein; denn nicht nur Antigonos, sondern auch der sadduccäische Adel, der alte Gegner des H., waren sich bewußt, daß der Sieger H. sie vernichten würde. Sie konnten deshalb an Ergebung nicht denken, wozu die Führer der Pharisäer schließlich geraten haben. Ihnen konnte das durch Antigonos wiederaufgenommene hohepriesterliche Königtum ebenso wenig wie das seiner hasmonäischen Vorfahren behagen, und so waren sie keine fanatischen Anhänger des Hasmonäers (ant. Iud. XIV 176. XV 3. 262; s. Wellhausen Pharisäer u. Sadduc. 105[1]). Der tapferen Verteidigung hat schließlich erst etwa im Juli 37 v. Chr.[2] die Erstürmung der Stadt [34] [RE:32] ein Ende gemacht. Durch den Widerstand erbittert, haben sowohl Römer als Juden furchtbar unter den Belagerten gehaust. H. hat schließlich dem Blutbad und der Plünderung Einhalt getan; er wollte in der großen Menge keine zu große Erbitterung gegen sich aufkommen und die Blüte seiner künftigen Hauptstadt nicht vernichten lassen. Er soll damals die Plünderung Jerusalems den Römern direkt abgekauft haben.
Diese haben den bisherigen König Antigonos gefangen mit sich fortgeführt. Antonius hat ihn bald hinrichten lassen. Der lebende Prätendent konnte schon allein durch sein Vorhandensein der neuen Herrschaft gefährlich werden,
- ↑ Die Namen sind strittig; Joseph. ant. Iud. XV 3 u. 370 (vgl. XIV 172. 175f.) nennt Pollion und Samaias, und man identifiziert sie zumeist wegen der lautlichen Ähnlichkeit mit dem aus der Mischna bekannten Schriftgelehrtenpaare Schemaja und Abtaljon (s. Schürer II⁴ 422ff., vgl. auch Grätz III 1⁵, 712f.). Hierbei ist jedoch schon bedenklich, daß bei Josephus Pollion als der Lehrer des Samaias bezeichnet wird, während nach der Mischna eher noch das Gegenteil der Fall sein könnte, vor allem aber ist die lautliche Gleichung durch Nöldecke ZDMG LV 355 aus der Beweisführung ausgeschaltet, da nach ihm אבטליון = Αὐτολέων sein soll. Ferner kann Samaias lautlich auch mit dem Schriftgelehrten Schammai zusammengebracht werden, der dem auf Schemaja und Abtaljon zeitlich folgenden Schriftgelehrtenpaare angehört; bei ihm würde man sehr wohl an einen Schüler des Abtaljon denken können. Daß für Josephus die Schriftgelehrtenpaare der Mischna schon bestanden haben, die doch zumeist reine Konstruktion sind, und daß er unbedingt ein solches darob zusammennennen muß, scheint mir schließlich eine falsche Voraussetzung zu sein. Er konnte also sehr wohl Schammai mit Samaias wiedergegeben haben, und Pollion würde dann eine Stufe höher gehören. Freilich wie Josephus zu der Einführung dieses Namens gekommen ist, wird wohl immer ein Rätsel bleiben, wenn man nicht frühe schwere Textverderbnis annimmt.
- ↑ Das J. 37 v. Chr. als Jahr der Eroberung Jerusalems hat sich jetzt wohl allgemein durchgesetzt, s. Schürers Erörterungen I³ 358, 11; der Monat ist dagegen noch strittig, entweder WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Juni–Juli oder Oktober (s. Schürer a. e. a. O.). Auf die an erster Stelle angegebene Zeit wird man durch die Angabe des Josephus bell. Iud. I 343; ant. Iud. XIV 465 über den Beginn der Belagerung geführt: λωφήσαντος bezw. λήξαντος τοῦ χειμώνος und durch die weitere über die Dauer: fünf Monate (bell. Iud. I 351; sechs Monate werden V 398 genannt, doch ist die erste dem Laufe der Erzählung eingeordnete Angabe wohl vorzuziehen). Daß man später über die Belagerungszeit gut orientiert war, zeigen uns die überlieferten Zahlen für die Dauer der einzelnen großen Belagerungsabschnitte (ant. Iud. XIV 476); den fünf Monaten wird man also Vertrauen entgegenbringen dürfen. Wer sich nun für den Oktober entscheidet, knüpft an die Bemerkung des Joseph. ant. Iud. XIV 487 an, daß die Eroberung ‚τῇ ἑορτῇ τῆς νηστείας‘ erfolgt sei, d. h. an dem jüdischen Versöhnungsfeste, das in dem J. 37 v. Chr. auf den 3. Oktober gefallen ist. Man rechnet alsdann die fünf Monate der Belagerung von einem späteren Termin an, nicht von dem des Vorrückens des Königs vor Jerusalem, sondern von dem der sogenannten eigentlichen Einschließung der Stadt, die man drei Monate später ansetzt, etwa mit der Ankunft des Sosius vor Jerusalem in Verbindung bringt (s. z. B. Sieffert 762. Gardthausen Rh. Mus. L 311ff.). Mit den Angaben bei Josephus läßt sich dies jedoch nicht vereinen. So berichtet er uns z. B. von drei großen Belagerungswerken, mit denen H. sofort nach seinem Erscheinen vor der Stadt begonnen habe (bell. Iud. I 344; ant. Iud. XIV 466), und verlegt deren Fertigstellung in den Sommer (ant. Iud. XIV 473), d. h. in eine Zeit, wo Sosius offenbar schon seit längerer Zeit zu H. gestoßen war. Von einer neuen einschneidenden Periode in den Belagerungsarbeiten seit dem Erscheinen des Sosius, wie Gardthausen a. a. O. 313 will, kann also hiernach nicht die Rede sein; die Arbeit an ebendenselben großen Belagerungswerken vor und nach dem Kommen der römischen Feldherrn verbietet vielmehr sogar, innerhalb dieser Zeitspanne einen Termin anzusetzen, von dem man aus die eigentliche Belagerungszeit gerechnet habe.
Die Angaben über den Beginn und die Dauer der Belagerung, sowie die über die Eroberung am Versöhnungstage sind also unvereinbar. Man hat dies auch vielfach richtig erkannt und daher versucht, ἑορτὴ τῆς νηστείας einfach als eine freilich falsche Bezeichnung des jüdischen Sabbaths aufzufassen, die Josephus gedankenlos aus seiner mit den jüdischen Verhältnissen nicht vertrauten WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Quelle entnommen habe (s. hierzu etwa Kromayer Herm. XXIX 563ff.). An und für sich ist diese Umdeutung schon bedenklich (daß sie uns bei Cass. Dio XLIX 22 entgegentritt, besagt für den Juden Josephus natürlich nichts, sondern zeigt nur die Unkenntnis des Dio bezw. die seiner Quelle); sie ist aber so gut wie ausgeschlossen, wenn man die Quelle, der Josephus folgt, nicht als heidnische, sondern als eine jüdische feststellt. Nun tritt uns, wie ich nachgewiesen zu haben hoffe (s. S. 15 *), eine solche jüdische, und zwar eine H. nichtfreundliche Quelle, d. h. eben der jüdische Anonymus, gerade von § 488 an entgegen, und da im § 487 die Einnahme von Jerusalem als πάθος und συμφορά charakterisiert wird, so darf man die im übrigen rein chronologischen Ausführungen dieses Paragraphen auch in der Tendenz, nicht nur äußerlich als mit dem folgenden verbunden ansehen.
Der bisher betretene Ausweg aus dem Dilemma ist also kaum noch gangbar; wir müssen vielmehr zugeben, daß uns zwei miteinander nicht vereinbare Traditionen über den Zeitpunkt der Eroberung bei Josephus vorliegen. Für diese Annahme läßt sich noch eine starke Stütze beibringen. In der Erzählung des Josephus von der durch H. befohlenen Erstürmung der Stadt finden wir die Teilnahme der Juden im Heere des H. an dem Kampf und an dem in Jerusalem angerichteten Blutbad ausdrücklich erwähnt (bell. Iud. I 351; ant. Iud. XIV 479), d. h. der König und sie alle hätten sich gegen das Sabbathgebot, das in dieser Zeit den Juden allerhöchstens die Verteidigung gegen einen Angriff, auf keinen Fall aber einen Angriff gestattete (s. Schürer II⁴ 559), aufs gröblichste vergangen, wenn Jerusalem wirklich an einem Sabbath oder gar am Versöhnungstage erstürmt worden wäre. Man darf nun wohl schon die absichtliche Übertretung des Gesetzes durch H. als höchst zweifelhaft erklären, da dieser sonst bestrebt gewesen ist, sich gegen das jüdische Gesetz nicht zu augenfällig zu vergehen, ein Grundsatz, den er in diesem besonderen Falle, wo er sich die jüdische Herrschaft definitiv erkämpfen wollte, sicher besonders streng innegehalten haben würde (vgl. die Bemerkungen des Josephus über die Lieferung von Opfertieren an die Belagerten durch H. [ant. Iud. XIV 477], über seine Sorge für das Nichtbetreten des Tempels durch die nichtjüdischen Krieger nach der Eroberung der Stadt [bell. Iud. I 354; ant. Iud. XIV 182f.]. Der Ausweg, H. habe den Sturm nicht befohlen, sondern er habe sich hier, wenn auch widerwillig, dem Befehle des Sosius fügen müssen, ist nicht möglich, da H. und Sosius einander gleichgeordnete Befehlshaber waren [bell. Iud. I 346; ant. Iud. XIV 469]). Man kann aber ferner die Verletzung des Gebotes durch die in H.s Heer befindlichen Juden als völlig ausgeschlossen bezeichnen. Die fortlaufende Erzählung des Sturmes, die mit dem Bericht über die Belagerung und somit mit der einen Zeitbestimmung für die Belagerung eng verknüpft ist, enthält also einen Bestandteil, der mit der kurzen chronologischen Angabe nicht zu vereinen WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt ist; sie kann demnach die Erstürmung nicht auf einen Sabbath oder Festtag verlegt haben.
So scheint mir denn die Annahme, daß bei Josephus zwei Versionen über die Zeit der Eroberung vorliegen, voll gesichert. Von ihnen hat aber nur die erste, die den genauen Eroberungstag nicht gibt, die innere Wahrscheinlichkeit für sich; die Möglichkeit, auch den Oktober als Eroberungstermin ins Auge zu fassen, ist somit wohl erledigt. Die Tradition, welche die Erstürmung Jerusalems auf den höchsten jüdischen Festtag ansetzte, ist selbstverständlich als eine dem König feindliche zu werten; es wird also durch diese Ausführungen auch das bereits oben erzielte Resultat der Verknüpfung des § 487 mit dem folgenden weiter gesichert. Daß in jüdischen, H. abgeneigten Kreisen, dieser Eroberungstermin, der H. belasten und die Verteidigung zugleich von der Schmach der Niederlage entlasten sollte, aufgekommen ist, braucht nicht zu verwundern, wenn wir uns erinnern, daß die Tradition auch die Eroberungen Jerusalems durch Ptolemaios I., Pompeius und Titus auf einen Sabbath bezw. Festtag angesetzt hat. (Als gewisse Parallele möchte ich darauf hinweisen, daß sowohl die Eroberung Jerusalems durch H. als die durch Titus von der jüdischen Tradition zeitlich mit einem Sabbathjahr in Verbindung gebracht wird und die Verteidiger auch hierdurch entlastet werden [ant. Iud. XIV 475. XV 7; über die Quelle der zu zweit genannten Stelle s. S. 38, aber auch die erste Stelle ist wohl dem jüdischen Anonymus zuzuweisen, denn der Schluß des Paragraphen paßt eigentlich gar nicht zu den vorherstehenden Ausführungen. Spätrabbinische Literatur für die Eroberung durch Titus bei Schürer I³ 35]. Dieselbe Entlastung der Juden bei kriegerischen Mißerfolgen durch ein sie hemmendes Sabbathjahr begegnet uns auch sonst in der jüdischen Tradition: I. Makk. 6, 48ff.; bell. Iud. I 60; ant. Iud. XIII 234. Es scheint mir daher recht wahrscheinlich, daß hierbei wenigstens mitunter das Sabbathjahr erfunden ist. Schürer I³ 35f. macht denn auch die chronologische Einordnung der Sabbathjahre immerhin Schwierigkeiten, und was speziell die Tradition über das Sabbathjahr zur Zeit der Eroberung Jerusalems durch H. anbetrifft, so stehen eigentlich die Angaben in ant. Iud. XIV 471f. mit ihm in Widerspruch).
Was schließlich die vielumstrittene Angabe in § 487 ,τῷ τρίτῳ μηνί‘, die sich direkt an die Angabe des Olympiadenjahres anschließt, anbelangt, so ist sie nach dem Wortlaut jedenfalls als Kalenderbezeichnung anzusehen (darin richtig z. B. Kromayer a. a. O. 569). Daß sie sich auf die Dauer der Belagerung, und zwar wie manche seit dem Vorgange Herzfelds, Monatsschr. f. Gesch. u. Wissensch. d. Judent. IV 113f. wollen, nur auf einen Abschnitt der Belagerung, etwa auf die Zeit der Beschießung beziehe, läßt sich durch die Belagerungserzählung des Josephus nicht erweisen, und vor allem darf WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt man natürlich nicht die aus einer anderen Tradition stammende Erzählung und jene chronologische Angabe miteinander auszugleichen versuchen. Der Ausweg Kromayers a. a. O., sie sei von Josephus gedankenlos aus seinem chronologischen Schlußpassus über die Belagerung Jerusalems durch Pompeius (ant. Iud. XIV 66), wo sie passenderweise die Dauer derselben angebe, herübergenommen, scheint mir infolge des oben gebotenen Quellennachweises großen Bedenken zu unterliegen. Demgegenüber ist es jedenfalls sehr beachtenswert, daß das Versöhnungsfest des J. 37 v. Chr. tatsächlich wohl in den dritten Monat des in diesem Jahre einsetzenden Olympiadenjahres gefallen ist (Kromayer a. a. O. 569, 3). Insofern scheint mir die rein chronologische Erklärung im Anschluß an den Olympiadenkalender vieles für sich zu haben. Der betreffende jüdische Historiker hätte dann freilich bei seiner Datierung ein schweres chronologisches Versehen begangen, indem er zwar die Olympiade, nicht aber auch das in Betracht kommende Jahr derselben genannt hat, ein Fehler, der aber nicht ganz unmöglich erscheint. (Das Jahr der Olympiade ist übrigens auch ant. Iud. XIV 66 nicht genannt). Eine Entscheidung in dieser Aporie möchte ich noch nicht treffen.
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/037&oldid=- (Version vom 1.8.2018)