jüdischer Seite, die man noch den Primärquellen zuzählen darf, wenn auch der Verfasser offenbar ein sehr viel jüngerer Zeitgenosse des H. gewesen ist und erst einige Zeit nach dessen Tode geschrieben hat; diese Veröffentlichung ist freilich leider kein Dokument der Gesinnung einer der großen jüdischen Parteien, sondern mehr das Produkt eines Eigenbrödlers, der in H. gleichsam eine Gottesgeißel sieht (Schürer III⁴ 294ff.). Dagegen sind nicht als Primärquellen, welche zugleich Stimmen aus dem jüdischen Lager darstellen, zu fassen, sondern einer anderen Epoche zuzuteilen: das Buch Koheleth (Grätz III 1⁵ 286ff. hat allerdings bis zuletzt das Gegenteil vertreten, s. jedoch etwa C. Siegfried Prediger und Hoheslied, Kommentar 13ff.), sowie das ursprünglich hebräisch geschriebene 4. Buch Esra (gegen v. Gutschmids Kl. Schriften II 271ff. Ansatz in die herodianische Zeit s. Gunkel bei Kautzsch Apokryph. u. Pseudepigr. II 335ff.).
Welche Primärquellen – um solche handelt es sich unbedingt – unter den ἄλλοι gemeint sind, die mit der Darstellung des Todes des Hyrkanos in den ὑπομνήματα des H. nicht übereinstimmen (Joseph. ant. Iud. XV 174ff.), können wir leider nicht feststellen; ihr Standpunkt scheint dem des Strabon verwandt gewesen zu sein, da sie gegenüber den Beschuldigungen, welche H. im J. 30 v. Chr. gegen Hyrkanos erhoben hat, für dessen Unschuld eintreten. Da sie nun diese Beschuldigungen anders formulieren, als sie uns in der offiziellen Version der H.-Memoiren entgegentreten und auch gar nicht gegen diese polemisieren, so erscheint es so gut wie sicher, daß der Typ dieser Darstellung bereits vor der Ausgabe jener Memoiren entstanden ist (ob er gar von Strabon herrührt?).
Die wichtige Frage, wie die genannten Primärquellen zu einander stehen, ist [RE:6] schwer zu entscheiden. Wir wissen nur von Strabon etwas Näheres; er hat Timagenes, Asinius Pollio, Hypsikrates, Dellius und auch den Nikolaos gekannt und verwertet (Joseph. ant. Iud. XIII 319 [Timag.]. XIV 138 [Asinius Pollio]. 139 [Hypsikr.]. Strab. XI p. 523 [Dell.]. XV p. 719 [Nikol.] [1], aber gerade in den ὑπομνήματα scheint er den Nikolaos noch nicht benutzt zu haben, während dieser seinerseits wieder anscheinend die ὑπομνήματα nicht berücksichtigt hat (s. die von den soeben angeführten Stellen abweichende Zitiermethode bei Joseph. ant. Iud. XIII 347. XIV 68 und 104. Triebers [Nachr. Gött Ges. phil.-hist. Kl. 1895, 403ff.] gegenteilige Bemerkungen beruhen auf falscher Einschätzung des hebräischen Gorionides [s. u. S. 16.] und sind daher nicht zwingend).
Der fast vollständige Verlust der Primärquellen erschwert unser Urteil über deren Verwertung in der einzigen uns vorliegenden ausführlichen Darstellung der Regierung des H. bei Josephus im bell. Iud. I 180–673; ant. Iud. XIV 119f.–XVII 199 natürlich sehr, und zwar um so mehr, als wir auch noch mit Mittelquellen zu rechnen haben, die von Josephus anscheinend sehr stark herangezogen [8] worden sind. Destinon a. a. O. 19ff. (bes. 39) ist bereits für eine solche, einen Anonymus, der die hellenistisch-jüdische Geschichte behandelt habe, energisch eingetreten, freilich nur für die Zeit bis auf H. (ant. Iud. XII–XIII), während P. Otto Leipz. Stud. IX Suppl.-Bd, 231ff. und Wachsmuth a. a. O. 442ff. sich dieses Werk auch über die Regierung des H. erstrecken lassen. Denn die besten Stützen für die Anonymushypothese, jene Hinweise des Josephus auf anderweitige Behandlung irgendwelcher von ihm kurz erwähnter Ereignisse, welche wir dem Tenor des Vermerkes nach (καθὼς καὶ ἐν ἄλλοις δεδηλώκαμεν [δεδήλωται] oder ähnlich) als von Josephus selbst anderswo näher behandelt annehmen müßten, die wir aber in seinen Werken nicht wieder erwähnt finden – diese Hinweise, die daher von Destinon als der Quelle des Josephus entnommen angesehen werden, fänden sich auch noch in der Darstellung der Zeit des H. (ant. Iud. XIV). Neuerdings hat nun Laqueur Hermes XLVI 172ff. darauf hingewiesen, daß das Anwendungsgebiet dieser Formel in den antiquitates sich mit jenen Teilen dieses Werkes deckt, in denen ausnahmsweise der Buchanfang stilistisch im Text markiert ist (Buch XII–XV, auch VIII). Mit Recht hat er diese neue Theorie der Stilisierung der Buchanfänge als Entlehnung aus einer dem Josephus vorliegenden Quelle und zwar derselben, aus der jene Formeln stammen[2], erklärt und sieht darum in seiner Beobachtung eine wichtige Stütze für die Destinonsche Annahme. Seine Beobachtung scheint mir übrigens zugleich geeignet, uns den grundlegenden Einfluß der Anonymusquelle auf Josephus besonders deutlich zum Bewußtsein zu bringen.
Drüners Untersuch. über Josephus, [RE:7] Marb. 1896, 70ff. und Schürers I³ 82ff. gegen die Anonymushypothese vorgebrachte Einwände sind dem gegenüber nicht zwingend, auch der eine Ausweg Schürers (S. 93), der Anonymus sei Nikolaos von Damaskos, ist nicht gangbar. Im XIV. Buche der antiquitates, das die Anfänge des H. schildert, tritt uns allerdings ein enkomiastisch gehaltenes Bild des Königs entgegen, das sich an sich sehr wohl mit Nikolaos vereinen ließe (Strabon, an den Schürer auch denkt, ist deswegen natürlich ganz unmöglich). Trotzdem ist aber Nikolaos als direkt verwertete Quelle ausgeschlossen. Das XIV. Buch ist einmal aufs engste, wie eben dargelegt, mit den Büchern XII und XIII verbunden, und daß auch für sie Nikolaos die grundlegende, von Josephus unmittelbar verwertete Quelle gewesen sei, läßt sich durch nichts beweisen; die hier sich findenden Zitate aus Nikolaos sprechen sogar dagegen (vgl. damit das Zitat XIV 9). Das XIV. Buch steht dann ferner auch mit den entsprechenden Abschnitten im I. Buche des bellum in engster Verbindung, sowohl dadurch, daß nicht in den Werken des Josephus zu verifizierende Verweisungen an derselben Stelle der Erzählung in den antiquitates und im bellum wiederkehren (§ 119 und 122 = I 179 und 182), als auch durch die Übereinstimmung im Inhalt und in der Tendenz
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/024&oldid=- (Version vom 1.8.2018)