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entäussern uns seiner, so handelt er und richtet uns zu Grund: Ein Mann liebt ein Mädchen, sie refüsirt ihn; oder die Verhältnisse refüsiren ihn. Von diesem Moment an hat er es nicht mehr mit dem Mädchen, sondern mit dem Gedanken an das Mädchen zu tun. Die Sache liegt nicht mehr in seinem Willen, sondern hängt in seiner Weiter-Entwiklung von der Organisazion seines Gehirns ab. Und begreiflich erscheint es, dass ein solcher Mann, um sich von dem ihm über den Kopf gewachsenen Gedanken zu befreien, sich eine Kugel durch den Kopf schiesst. Er konte die Illusion nicht mehr zerstören. So zerstört sie ihn. Und er war noch der lezte Handlanger seines eigenen Spuks. Hätte er das Mädchen bekommen, so war er den Gedanken los, und die Illusion kurze Zeit darauf verflogen. Er hatte das Mädchen, und die „Illusion ging zum Teufel“, wie man sagt.

§. 30.

Der Selbstmörder weiss nicht, was nach dem Schuss kommen wird, oder, im Fall des Gelingens, nach Eintritt des Todes. Er will nur den gegenwärtigen Gedanken, den er anders nicht losbringen kann, zerstören; sein Ich davon befreien. Und meist gelingt dies sogar schon durch den Schuss, der nicht tötet. Denn dieser ist schon eine Hinausschleuderung der in ihm nicht anders zu brechenden Widerstände. Er handelt also ganz razionell. Dass er im Fall des Gelingens des Schusses die weitere Funkzion seines Ichs, die Möglichkeit, überhaupt noch Illusionen zu haben, damit zerstört, ist eine Sache, die eigentlich ausserhalb seines Kalküls liegt, ist eine Nebensache, ein Abfallprodukt seiner geistigen Arbeit, die ihn nichts angeht. Man darf daher den Selbstmörder weder so tragisch, noch so transzendental, noch so moralisch komplizirt nehmen, wie wir gewöhnlich tun. Jedenfalls nicht tragischer, als er sich selbst nimt. Er nimmt sich aber rein – wie soll ich sagen? – fisiologisch. Unsere Erwägungen über ihn sind schon wieder vollgepfropft mit Illusionen. Als fisiologischer, unvermeidlicher