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Karl Eduard Paulus der Ältere unter Mitarbeit von seinem Sohn Eduard und – für das Geschichtliche – von Hermann Bauer: Beschreibung des Oberamts Gmünd

und mit vielen Schlußsteinen geschmückt. Wo die beiden Thürme gestanden, wurden in den üppigen spätgothischen Formen zwei Kapellen erbaut, die auf der Südseite als abgeschlossene Sakristei, die auf der Nordseite als gegen das Innere der Kirche offene Taufkapelle; an ihrer Westwand steht innen 1502. Sehr bemerkenswerth ist noch, daß bei der letzten Erneuerung der Kirche in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts unter dem Fußboden des vor der Taufkapelle liegenden Joches des nördlichen Seitenschiffes die Grundmauern eines romanischen Thurmes, von 13′ Länge im Lichten und mit Halbsäulen in den Ecken, ausgegraben wurden; ein Beweis, daß früher ein romanischer Bau hier stand. Über den Baumeister der Kirche s. S. 187.

Betrachten wir nun die Kirche genauer; zuerst von außen. Die Westseite (Schauseite) des mit Einem riesigen spitzen Giebeldache bedeckten thurmlosen Gebäudes ist dreigegliedert; zwischen den schlanken mittleren Strebepfeilern öffnet sich ein schönes, großes Doppel-Portal, dessen Lünette und hoher Schutzgiebel mit sehr edlem Maßwerk ausgeziert sind; weiter oben, unter dem Umgange, durchbrechen drei herrliche Rundfenster die ernsten Mauerflächen, und über dem mit zierlichem Steingeländer versehenen Umgange erhebt sich, etwas zurückgesetzt, der mächtige schlanke Giebel, auch wieder reich und klar durch kräftiges Stab- und Maßwerk gegliedert. Zu Seiten des Portales stehen links St. Martin, eine schöne aus der Johanniskirche herübergebrachte Statue, und rechts St. Ulerich (aus St. Leonhard), am Mittelpfosten aber Madonna mit dem Kinde (auch aus der Johanniskirche), ein Kunstwerk von höchstem Werth, wenn auch noch etwas befangen in der herben Weise der Frühgothik, aber von lebendigster und schönster Bewegung und großartig stolzer und reicher Gewandung. Das holdgelockte Kind hält in der Linken einen Apfel, und drückt mit der Rechten ein Täubchen an die Brust der Mutter.

An den Langseiten der Kirche haben sich, wie an der Façade, hohe schlanke schöngebildete Strebepfeiler, die vorne je einen Baldachin mit einer Heiligen-Bildsäule tragen, und dazwischen laufen die hohen, außerordentlich schön gefüllten Fenster, deren Stäbe mit zierlichen Kelchkapitellchen geschmückt sind. Als Bekrönung dient das Geländer des Umganges. Am langen halbzwölfeckig geschlossenen Chor erscheinen außen, der inneren Anlage entsprechend, zwei Fensterreihen übereinander, mit zwei Umgängen; seine auch mit Heiligen-Bildern geschmückten Strebepfeiler entwickeln sich erst an dem weiter zurückgesetzten zweiten Geschoß und endigen in reiches Spitzsäulenwerk. Über den Spitzbögen der oberen Fenster wölben sich rundbogige, mit prachtvollem steinernem Laubwerk geschmückte Entlastungsbögen. Derselbe Schmuck zieht in der Kehle des Kranzgesimses hin. Kühne phantastische Wasserspeier ragen überall zu Seiten der Strebepfeiler heraus.

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Karl Eduard Paulus der Ältere unter Mitarbeit von seinem Sohn Eduard und – für das Geschichtliche – von Hermann Bauer: Beschreibung des Oberamts Gmünd. Stuttgart: H. Lindemann, 1870, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Oberamt_Gmuend_183.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)