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Schwarzwaldes, mit dem Feldberg, weiter gegen Südwest an die langgestreckten feinen Linien des Randen und des Schweizer Jura. Gegen Osten schweift der Blick über das tief unten liegende freundliche Singen und über Hohen-Fridingen mit seiner uralten Burg fast unbegrenzt hinüber zum waldreichen leichtwelligen Gehügel Oberschwabens. Im Norden tritt die schlanke Felsgestalt des Hohenkrähen ganz nahe heran, die Aussicht ist beschränkter; aber desto lieblicher öffnet sich hier das weite wiesengrüne Aachthal mit seinen Städtchen, Dörfern und malerisch verstreuten Höfen, oben geschützt umschlossen vom reichbewaldeten Kalkgebirge der Eck und freudig durchströmt von dem vollen lauteren Aachfluß, der beim Städtchen Aach aus starkem Quelltopf entspringt. Gegen Süden, Südosten und Südwesten aber stehen und leuchten, hinter dem Bodensee und den nahen dunkelnden Waldgebirgen, hoch aufgerichtet die Ketten der Alpen, in all ihrem unerschöpflichen Reichthum an Formen und Farben. Zur Linken (Südosten) hinter der Bregenzer Klause in blauem Schein die Tiroler Gebirge, rechts davon der Säntis, weiter die schwergeformten Häupter des Glärnisch, Dödi und der anderen Berge von Uri, Schwyz und Unterwalden, dann höher als alle, und tief herab mit Schnee bedeckt, die spitzen, wolkendurchsteigenden Gipfel der Berner Hochalpen, Finsterarhorn, Schreck- und Wetterhorn, Jungfrau und Mönch, und fern hinter dem Pilatus entschleiern sich bei heiterer Luft die Walliserberge, auf Stunden sogar der Montblanc.

Vor den Alpen liegt im Südwesten und Süden, ganz in der Nähe, ein saftgrünes Waldgebirg, im schönsten Gegensatz zu dem Schimmer der Alpen; gegen Südosten aber ruht das Auge nimmermüd auf der zarten Fläche des Bodensees, der mit seinem flach umbordeten Untersee ganz ausgebreitet gegen den Fuß des Hohentwiel heranglänzt, während sich der meerähnliche Obersee breit verkürzt bis an die hohen Alpenberge bei Bregenz hinaufzieht. Rings um den See lachendste Ufer, Obst- und Weingelände, Villen, blühende Dörfer, alterthümliche Städte, Radolfszell, Steckborn und Konstanz mit seinem stolzen Münster; und als hätte sich ein Theil gerade des üppigsten Gartengeländes losgelöst und treibe nun still auf den blauen Wellen, liegt mitten im Untersee das paradiesische Eiland Reichenau, vor einem Jahrtausend schon der Sitz hoher geistiger Bildung und sorgfältiger Kunstübung.

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tuttlingen. H. Lindemann, Stuttgart 1879, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtTuttlingen0557.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)