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Entwicklung befällt, jedoch in den gewöhnlichen Fällen in einigen Monaten vorübergeht. Hysterische Frauenzimmer gibt es, wie überall, doch ist die Hysterie nicht besonders häufig. 1

Von den Geisteskrankheiten sind Melancholie, Manie und Säuferwahnsinn nicht häufig, dagegen ist der Cretinismus in einigen Orten endemisch, und hat stets das häufigere Vorkommen des Kropfes zum Begleiter. Die Herrschaft des Cretinismus und des Kropfes wird durch die Lage und den Boden der Ortschaften bestimmt. In dem östlichen, rechts vom Nagoldthal auf Muschelboden gelegenen Theil des Oberamtsbezirks, dem Gäu, gibt es nur wenige Kröpfe, und der Cretinismus fehlt beinahe ganz, wenigstens sieht man dort die höheren Grade desselben nicht. Die Heimath von Kropf und Cretinismus ist die Formation des bunten Sandsteins mit ihren hohen bewaldeten Bergen, tiefen und engen Thälern, vielen Nebeln, und dem guten, fast chemisch reinen Trinkwasser. Man würde sich aber sehr irren, wenn man den Cretinismus bloß in den tiefeingeschnittenen, nebelreichen Thälern der Nagold und ihrer Zuflüsse suchen, oder wenn man (mit Dr. Rösch) seine Entstehung in den Bergorten hauptsächlich den aus den Thälern aufsteigenden Nebeln zuschreiben wollte. Dies ist an den Beispielen von Calw, Neubulach und Zavelstein ersichtlich. In Calw, wo neuerdings der Cretinismus sehr selten geworden ist, kamen in früherer Zeit ziemlich viele Cretinen vor, welche aber ihre Wohnstätte beinahe alle in dem gegen Altburg gelegenen höchsten Theile der Stadt hatten. Zavelstein liegt zwar auf einer Berghöhe, welche ringsum von höheren Bergen umgeben ist, so daß sie einigen Schutz vor den heftigeren Winden hat, aber im Zustand der Stagnation ist die Luft daselbst keineswegs, und die vom Teinachthal aufsteigenden Nebel reichen gewöhnlich nur bis nahe an den Kamm des Berges, und ziehen sich selten bis in das Städtchen hinauf. Neubulach liegt auf einer ganz freien, hervorragenden Höhe und kennt Nebel gar nicht. Von Sumpfluft findet sich nirgends um diese Orte eine Spur. Wenn man aber die ökonomischen Verhältnisse der Einwohner in’s Auge faßt, so findet man, daß die Herrschaft des Cretinismus sich hauptsächlich auf die ärmeren Thal- und Wald-Orte erstreckt, während die wohlhabenden beinahe oder ganz frei davon sind. In der schlechten Stubenluft, worin die Kinder der Armen ihre ersten Lebensjahre zubringen, scheint die Hauptquelle des Cretinismus zu liegen, und zwar besonders in der Unreinlichkeit und in der Gewohnheit der ärmeren Bewohner dieser Wald- und Thal-Orte, ihre engen Wohnzimmer übermäßig zu heizen und nicht zu lüften. Der reiche Bauer bewohnt geräumige Zimmer, die er,

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Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Calw. Karl Aue, Stuttgart 1860, Seite 059. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtCalw_059.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)