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bei Kindern auch die Leichenrede hält. Die Leichentrunke und das Leichenmahl werden allmälig seltener.

Von den Volksspielen ist das früher übliche Eierlesen am Ostermontag abgegangen und nur Stammheim hat es noch im Jahre 1856 abgehalten. In Ober-Haugstett wird Abends am Dienstag nach dem Nicolaustage nach dem sogen. Clos gejagt, indem man einem ledigen Burschen Kuhschellen anlegt, worauf er von den übrigen Burschen, häufig auch etwas älteren Knaben als sogen. Schanden-Clos (St. Nicolaus) durch das ganze Dorf scherzweise gejagt wird.

In der Stadt Calw bestehen folgende alte Gebräuche: das Fackeln der männlichen Schuljugend im Herbst. Über der am rechten Nagoldufer hinziehenden Straße, der Bischof genannt, steigt der östliche das Thal begränzende Berg steil auf bis zu einer gewaltigen Felsenmasse, der hohe Fels genannt. Am Fuße des Hauptfelsen liegt ein altarförmiger Sandsteinwürfel, nach jeder Richtung 4 bis 5 Fuß messend. An dieser Stelle, welche einen schönen Überblick über die Stadt gewährt, versammeln sich seit alten Zeiten, vermuthlich schon seit vielen Jahrhunderten, jedesmal am Tage nach dem Septemberjahrmarkt bei Einbruch des Abends die Schulknaben, jeder eine Fackel und ein Scheitchen Holz oder etwas Reisach mit sich bringend. Unter Leitung einiger der älteren Knaben wird auf dem Steinwürfel ein Feuer aufgemacht, an welchem die Fackeln angezündet werden, worauf die Fackelträger die oberen Felsen besteigen, und ihre Fackeln jauchzend schwingen. Beim Läuten der Abendglocke ordnen sie sich in eine Reihe, und ziehen auf den längs der Bergseite sanft abfallenden Wiesen in langem Fackelzuge, der von der Stadt aus gesehen einen prächtigen Anblick gewährt, bis zu dem unterhalb der Stadt gelegenen Brühl, wo die Fackeln gelöscht, und die kleineren Reste auf einen Haufen zusammengeworfen und verbrannt werden. Diese Sitte dauerte früher, je nach der Witterung, zwei bis drei Wochen jeden Abend fort, ist aber jetzt polizeilich auf eine Woche beschränkt worden. Der Ursprung dieser Sitte ist ganz unbekannt, sowohl der Zeit als der Bedeutung nach.

Der Umzug der Tuchmachergesellen fand jedesmal am Jahrestag der Tuchmacherzunft statt. Unter Vorantritt der Musik wurde die Zunftfahne, begleitet von sämmtlichen Tuchknappen, durch die Hauptstraßen der Stadt getragen. Der Fahnenträger und sein zum Theil die Zunftgeräthe tragendes Gefolge erschien in Hemdärmeln und mit dem grünen Arbeitsschurz umgürtet. Dieser Umzug wurde am letzten Jahrestage durch das K. Oberamt verboten.

Das Ehrengeläute am Jahrestage der Bäckerzunft

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Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Calw. Karl Aue, Stuttgart 1860, Seite 051. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtCalw_051.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)