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Kartoffel, wie herrschend sie auch ist, hat noch nicht die Bedeutung, wie im nördlichen Deutschland; vielmehr bildet das Brod, und zwar das gutnährende weiße, die Grundlage der Nahrung, an welches sich zunächst die Gemüse anreihen. Der Genuß des Fleisches ist stärker als auf dem Lande, aber doch geringer als in mehreren anderen größeren Städten. Als Frühstück wird überall Kaffee, allerdings häufig durch Surrogate bis zur Unkenntlichkeit entstellt, genossen. Der Genuß des Weines hat gegen früher, besonders was das Maß der einzelnen Weintrinker betrifft, bedeutend abgenommen; dagegen ist das Biertrinken allgemeiner geworden. Neben diesem wird von den unteren Classen hauptsächlich Obstmost genossen und ist der Branntwein kaum zu erwähnen. 1

Der Wechsel in der Kleidertracht begann hauptsächlich zur Zeit der Reformation, indem schon jetzt die bis dahin bestandene Nationaltracht durch die französische verdorben ward. Er kann hier nicht näher verfolgt werden; es mag aber von Interesse sein, ein wenig der längst vergessenen Predigt zu lauschen, welche der witzige und unerschrockene Hofprediger Lucas Osiander d. ä. im Jahr 1586 über die „hoffärtige ungestalte Kleidung der Weibs- und Manns-Personen“ gehalten hat. Alles, sagt er, was aus Frankreich, Niederland, Wälschland und anderen hoffärtigen Völkern nach Deutschland komme, werde nachgeahmt, „und nehmen die welschen Krämer von uns gutes Geld und geben uns sammetene und seidene Lumpen dafür.“ Die „Weibsbilder“ tragen Sammethütchen so klein, daß sie wie ein Apfel auf dem Kopfe sitzen; ihre über Drähte gezogenen Haare gleichen einem Säuhag, und Etliche streichen ihre Gesichter an. Sie tragen dicke Kröse (Halskraußen), daß der Kopf aussieht, als liege er auf einer Schüssel; Reife an den Kleidern, daß diese beim Niedersitzen in die Höhe stehen, und hohe Schuhe und Pantoffeln, um größer zu scheinen. Die Mannspersonen haben vorne aufstehende zottige Haare, als ob sie der Satan rückwärts durch einen Zaun gezogen hätte. Sie tragen Hüte mit vergoldeten und silbernen Spangen, von einem sammetenen Frauengürtel umschlungen, damit anzuzeigen, daß sie die Weiber über sich herrschen lassen; dicke Krösen und goldene Ketten um den Hals; Ärmel so lang und weit, wie die Commißsäcke der Landsknechte und Wurstsammler, dazu die langen ausgefüllten Gänsbäuche, die unter dem Hals anfangen und weit unter den Gürtel herabhängen, wie ein Erker an dem Hause hängt und es umziehen möchte. Sammet und Seide genügt nicht mehr; die Kleider werden auch noch mit goldenen und silbernen Borten besetzt. Die Mäntel reichen nur noch bis zum Gürtel und werden mit Hintansetzung aller Ehrbarkeit

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Rudolph Moser: Beschreibung des Stadtdirections-Bezirkes Stuttgart. Eduard Hallberger, Stuttgart 1856, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAStuttgartStadt0094.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)