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finden sich nicht viele. Die Hochzeitsgebräuche sind in den meisten Orten die im Alt-Württembergischen gewöhnlichen. Zur Hochzeit wird in der Regel durch den Bräutigam und seine „Gesellen“ und durch die Braut und zwei ihrer „Gespielenin“ geladen, welchen in jedem Hause ein Laib Brod vorgelegt wird, um sich ein Stückchen abzuschneiden, deren sie dann ganze Taschen voll nach Haus bringen. Bei solennen Hochzeiten, die aber immer seltener werden, findet der Kirchgang vor dem Gottesdienste statt, das Hochzeitsgelage wird nach demselben im Wirthshaus mit öffentlichem Tanze gefeiert. Übrigens sind sich diese Gebräuche nicht allerorten gleich, namentlich weicht, wie wir bei der Ortsbeschreibung sehen werden, Kohlberg ab, und in Unter-Boihingen besteht die seltsame Sitte, daß dem Gang zur Kirche Zechen und Tanzen vorangehen, so daß, wie glaubhaft versichert wird, die hochzeitliche Gesellschaft sich oft in einem Zustand in der Kirche einfindet, wie man sie anderwärts wohl kaum an dem Abend eines solchen Festes trifft. In Erkenbrechtsweiler besteht der löbliche Gebrauch, daß man an solchen Tagen allen Kranken und Kindbetterinnen im Ort Nudeln und Rindfleisch ins Haus schickt; in der Kirche wird dort jedem Gast ein Rosmarinstengel mit Bändern gegeben, während Gesell und Bräutigam das Kränzchen am Hut und den Strauß an der Seite stecken haben. Bei Beerdigungen wird noch in manchen Orten ein „Leichentrunk“ gethan, wobei alsdann der Verstorbene um so besser geehrt und beweint ist, je benebelter die Leidtragenden aus dem Trauerhause gehen; hiebei ist jedoch zu bemerken, daß auch diese Sitte immer mehr und mehr abnimmt und in einigen Gemeinden bereits ganz abgeschafft ist. In Erkenbrechtsweiler besteht bei Leichen der sonderbare Gebrauch, daß jedem Träger ein Rosmarinstengel und 15 Kreuzer auf die Bahre gelegt werden, von welchen dieser aber nur 3 Kreuzer nehmen darf, „damit der Todte ruhen könne.“ Von Volksbelustigungen sind die Lichtkärze im Schwung, welche durch Genuß von Kaffee oder Wein, besonders in der Pfeffernacht verherrlicht werden. Eigenthümlich ist unserem Bezirk der seit alten Zeiten bestehende Bretzelnmarkt, welcher am Palmsonntag in der Mittagsstunde auf dem Krähschnabel bei Altenrieth gehalten wird und bei welchem die Mädchen von ihren Liebhabern mit Schürzen voll Bretzeln erfreut werden (s. auch die Ortsbeschreibung von Altenrieth). Eine Erwähnung verdient noch das Wettspiel des sogenannten Hahnenritts, womit die gut berittenen Wolfschluger seit alten Zeiten hin und wieder die Hochzeiten verherrlichen, wenn eine auswärtige Person sich in den Ort verheirathet. Es wird eine Henne mit einem Taffetband an einen Pfahl gebunden und dieser in die Erde befestigt. Nach diesem

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August Friedrich Pauly: Beschreibung des Oberamts Nürtingen. J. G. Cotta'sche Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen 1848, Seite 049. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAN%C3%BCrtingen_049.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)