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Da weiß sich denn der Bauer allein gar nicht mehr zu helfen und zu rathen. Umgeben von der großen Menge Viehs, die ihm entgegen blickt, weiß er nicht, was er wählen, wie viel er bieten solle, und der Verkaufslustige weiß nicht, wie viel er verlangen solle. So kommen dann die Juden als Schmuser zu Hülfe. Sie ertheilen dem unschlüssigen Bauern den Rath. Der Verkäufer will aber mehr, es wird hin und her geredet, und wenn die Bauern sich über den Preis fast geeinigt haben, so nimmt der Schmuser jeden bei einer Hand und patscht die Hände fast mit Gewalt zusammen. Die Leute sind nun einig, der Jude erhält sein Schmusgeld, gratulirt dem Käufer zu dem erkauften Vieh und eilt, um noch mehr Händel (Kauf-Verträge) zu Stande zu bringen.

So viel auch diese Juden verdienen, so sieht man doch keinen Betrunkenen, denn sie sind nüchtern und sparsam, während manche Christen gegen Abend vom Weine überwältigt nach Hause taumeln und manche Frau den Mann mit dem Vieh heimführen muß.

Auch auf den Kirchweihen spielt der Wein die Hauptrolle, dabei der Gesang und der Tanz.

Mit Karten und Kugeln wird aber weniger gespielt als im Bierlande.

Die Hauptbelustigung der Heilbronner ist die Weinlesezeit oder der sogenannte Herbst. Nirgends wird die Traubenlese so fröhlich vorgenommen als hier. Wo nämlich ein geringerer Wein wächst, als in Heilbronn, da kann man sich seiner nicht so recht erfreuen und wo ein sehr feiner Wein gezogen wird, wie z. B. am Rhein, da ist er zu kostbar. Das ganze Dichten und Trachten des Winzers am Rhein geht dahin, keinen Tropfen des edeln Saftes zu verlieren, und denselben so sorgfältig als nur immer möglich zu behandeln. Dort ist die Weinlese ein sehr sorgenvolles Geschäft, in Heilbronn verbreitet sie Freude, und bei der Gastfreundschaft der Heilbronner freuen sie sich darüber, wenn andere die Trauben ihrer Berge lieblich finden und wenn die Gäste von dem Weine begeistert werden.

In Heilbronn haben nicht blos die Weingärtner Weinberge, sondern viele wohlhabende Leute.

Diese hören es gerne, wenn die Mädchen, welche die Lese vornehmen, muntere Lieder singen, und der Buttenträger sie mit tiefer Stimme begleitet.

Noch während der Tag grauet, ziehen die „Leser“ singend vom Hause des Weinbergbesitzers durch die Stadt hinaus in die Berge. Unter scherzenden Reden werden die Trauben in die Kübel geschnitten,

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Dr. Heinrich Titot: Beschreibung des Oberamts Heilbronn. H. Lindemann, Stuttgart, Stuttgart 1865, Seite 065. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAHeilbronn_065.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)