Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Andenken steht, daß die Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Egyptens noch in der jetzt lebenden Generation herrscht und wirkt, und sich von Mund zu Mund, von Herz zu Herz fortpflanzt? Was Wunder, daß leichte Arbeit, leichter Verdienst und gute Tage auch jetzt noch die Losung sind; daß guter Tauber-, Kocher- und Weinsberger-Wein, neben grandiosen Biermassen, die Sorge für den kommenden Tag, wie billig, ersticken; daß obige Thiergattungen in mundwässernder Verklärung vor den Augen eines Hallers stehen; daß auf St. Martinstag 5–600 Gänse, wohl auch mehr, zu Markte kommen, die alle an einem Tag in Hall verzehrt werden; daß 27 bis 30 Bierbrauereien, die ihr Produkt theils selbst ausschenken, theils an zahlreiche Schenkwirthe in der Stadt verkaufen, theils aufs Land versenden, ihr gutes Auskommen finden; daß früh Morgens Kundschafter ausgehen, die den Begegnenden auf den Gassen verkündigen, in welchen Bierhäusern heute der beste Stoff zu treffen sey!? Wußte das alte Hall seine Kinder mit solchem Reiz an sich zu fesseln, wer hätte auch den Zauber brechen und in die Fremde ziehen mögen? Eine besondere Liebhaberei hat der Haller für Gesang und Musik. Wenn nun gleich nicht gesagt werden kann, daß die Stadt die Höhen der Kunst erklommen hätte, so muß man wenigstens so viel zugeben, daß sie es an dießfallsigen Anstrengungen nicht fehlen läßt. Musik- und Sing-Vereine unter verschiedenen Namen und aus zahlreichen Mitgliedern bestehend, Musik- und Sing-Feste, Aufführung von Concerten, Oratorien, erhalten diesen schönen Geist stets rege, und tragen in Ausbildung und Veredlung des Geschmacks, wie auch in Läuterung und Verfeinerung der Sitten kostbare Früchte. Außerdem ist der Haller ein stets gutgelauntes, aufgewecktes, frohes, dabei höfliches, gefälliges, dienstfertiges, mehr oder weniger leichtsinniges Wesen, mit einem nicht unbedeutenden Zusatz von List und Verschlagenheit, und einem unwiderstehlichen Reiz zum Hohnnecken, oder, was man so sagt, die Leute blau anlaufen zu lassen. Zur Ausdauer in der Arbeit und in Ertragung von Widerwärtigkeiten ist er nicht gemacht, und die Zähigkeit und die Hartschlägigkeit des Altwürttembergers geht ihm völlig ab. Deßwegen nimmt ers auf die leichte Achsel und läßt im Übrigen den lieben Herrgott sorgen. Daß, das Vermögen einiger reichen Privaten ausgenommen, der Wohlstand in der Stadt nicht groß seyn kann, ergibt sich hieraus von selbst. Die Meisten begnügen sich mit einem Auskommen, das eben hinreicht, von einem Tag zum andern anständig und gerade so zu leben, daß der Druck der Sorgen abgewehrt wird. 1

Was dagegen den Landbewohner, den eigentlichen Bauern, im Gegensatz zu dem Halbbauern und Söldner, betrifft, so hat derselbe

Empfohlene Zitierweise:
Rudolph Friedrich von Moser: Beschreibung des Oberamts Hall. Verlag der J. G. Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen 1847, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAHall0045.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)