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aufs tiefste störte und oft bleibende Einbuße der geistigen Fähigkeiten erzeugte, schleichende Entzündungen des Gehirns veranlaßte, an dessen Stelle sich bei den elenden Verhältnissen öfters Wasser statt gesunder Hirnsubsanz bildete, so ist das endemische Auftreten von höheren oder niedereren Graden von physischer und psychischer Entartung des Menschen zunächst nur das Resultat eines Cumulus von Einzelfällen, welche durch die überall sich da und dort wiederholende Ungunst der Lebensverhältnisse jederzeit sporadisch hervorgerufen werden: wie denn selbst in den bestsituirten höheren Ständen die Bedingungen für die Entstehung von Rhachitis, von Hirnentzündungen nicht immer ganz ferne gehalten werden und werden können, in deren Gefolge blödsinnige und mehr oder weniger cretinische Kinder leider das Glück mancher Familie in allen Gesellschaftsschichten auch der größeren Städte stören und die Entartung des Menschen von Palästen und vom Reichthum nicht ganz ausgeschlossen ist. Wieviel aber im Großen und Ganzen – in ganzen Gemeinden wenigstens – trotz entschiedener Ungunst der auf eine größere Menschenzahl, auf alle Ortseinwohner wirkenden, an der Lokalität haftenden, Schädlichkeiten deren Einfluß auf die körperliche und geistige Entwicklung und Gesundheit entgegengewirkt werden kann, dafür finden sich auch im Bezirke Br. Beispiele. So liegt Nordhausen in einer feuchten muldenartigen Vertiefung, zählt viele ebenerdige Wohnungen, Verf. dieses beobachtete zumal vor einigen Jahren (in besonders feuchten Jahrgängen) daselbst eine Reihe von verschiedenartigen Krankheiten, die man gemeiniglich als mit einer Erkrankung der Gesamtblutmasse einhergehend oder von einer solchen herrührend annimmt, für deren Erklärung den vergiftenden Einfluß feuchter Wohnungen in Anspruch zu nehmen sich sofort nahe legen mußte. Und in dieser Gemeinde finden sich und fanden sich doch nie Cretinen: Craniotabis (Schädelrhachitis) hat Verf. dieses zum öfteren dort beobachtet – dieselbe Krankheit, die wohl in Eibensbach den Weg zur Entartung des Menschen hauptsächlich bildete – aber, während man in E. wohl zu lässig war, auf die Zeichen derselben, überhaupt krankhafte Erscheinungen, an Kindern zu achten, sich deßhalb Raths zu erholen, der Weiterentwicklung vorzubeugen zu suchen, lebt in Nordhausen eine rührige, intelligente, ihr südliches Blut nicht verläugnende Bevölkerung von Waldensern, die etwas vor sich bringen, trotz eines, wie in E., sehr beschränkten Grundbesitzes, die sich die Pflege ihrer Kinder angelegen sein lassen, Ärzte gebrauchen u. s. w. – und so dem schlimmen Einfluß einer feuchten Lage des Orts und feuchter Wohnungen die schlimmsten Spitzen abbrechen. 1

Wenn im Bezirke Br. die Bevölkerung in physischer und psychischer Hinsicht so ungünstige Verhältnisse zeigt, wenn die Kindersterblichkeit eine so auffällige ist, wenn die durchschnittliche Militärtüchtigkeit sich als eine so geringe erweist, so legt sich die Vermuthung

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Brackenheim. H. Lindemann, Stuttgart 1873, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OABrackenheim0084.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)