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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898

verheiratet; auch die Söhne zweiter Ehe waren herangewachsen, der ältere hatte schon einen eigenen Hausstand gegründet und Gladbach genoss die grosse Freude, zwei lustige Enkelkinder um sich spielen zu sehen; der zweite Sohn hatte eine eigene Töpferei in Deutschland eingerichtet.

Nach 32jähriger Tätigkeit am Zürcher Polytechnikum wurde Gladbach höchst ehrenvoll pensionirt, mit vollem Gehalte auf Lebenszeit und dem Wunsche, dass er diese Pension noch viele Jahre in Gesundheit verleben möge! Über tausend Schüler hatte er herangebildet, von denen viele in engem Verkehr mit ihm blieben und wohl alle in grosser Anhänglichkeit seiner gedenken. Und wie er die Herzen seiner Schüler zu gewinnen wusste, so stand er auch mit seinen Kollegen am Polytechnikum im besten Verhältnisse, – hatte er doch stets nur volle Anerkennung für die Leistungen anderer, denen er sich meist nur allzu bescheiden unterordnete. Dafür war er aber auch für das kleinste Lob höchst empfänglich, und kam es gar aus dem Munde eines Mannes, den er sehr verehrte (wie zum Beispiel von Prof. Jul. Stadler), so konnte er tagelang in rührender Freude strahlen, die jedem nahe ging, der es mit erlebte.

So vergingen ihm die letzten Jahre in sonnigem, sorgenlosem Dahinleben, ohne Krankheit oder Beschwerden des Alters, nur die Kräfte nahmen langsam aber stetig ab, körperlich und geistig. Kurz vor Weihnachten 1896 stellte sich grössere Schwäche ein, doch freute er sich am Weihnachtstage noch auf die Bescherung und wollte daran teilnehmen. Gegen Abend überfiel ihn grosse Müdigkeit, er musste sich legen, und sanft und schmerzlos trat der Tod im Schlafe an ihn heran.

Oben auf der Höhe des Zürichbergs, wo Gladbachs Lieblingsspaziergang war, liegt der neue Friedhof von Fluntern; ringsum rauschen die Tannenwälder und schweigend grüssen die Alpen herüber. Dort wurde er zur letzten Ruhe gebettet, und es war rührend zu sehen, wie neben Familie und Freunden auch die alten Bauern der Nachbarschaft es sich nicht nehmen liessen, trotz Schnee und Sturm dem «alten Professor» das letzte Geleite zu geben.

W. L. Lehmann.


(Vignette)


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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898. Zürich 1898, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neujahrsblatt_der_Kunstgesellschaft_in_Z%C3%BCrich_f%C3%BCr_1898.pdf/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)