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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898

Jahrhunderts verschwinden diese gesunden Prinzipien, die Konstruktion versteckt sich hinter vorgenagelten Brettern, oder es treten fremde, sogenannte klassische Formen auf, die der Natur des Materiales zuwiderlaufen.

Neben der konstruktiven Auseinandersetzung gibt Gladbach im begleitenden Texte noch eine Fülle von Details über Einrichtung der Häuser und alte Gewohnheiten, die ebenfalls zu verschwinden beginnen. So beschreibt er zum Beispiel höchst anschaulich die Feuerungseinrichtung der alten Strohhäuser, die mit ihrer sinnreichen Konstruktion weit weniger feuersgefährlich war als die jetzige Vorschrift des gemauerten Kamines mit umgebender Ziegeleindeckung. – Mit seinem Frage- und Sammeleifer kam er freilich bei den alten Bauern oft übel an und mehr als einmal wurde er davongejagt, da man einen Steuerbeamten oder noch Schlimmeres hinter ihm witterte. Mit Humor liess er es über sich ergehen und erfuhr doch schliesslich alles, was er wollte.

In der Art der Wiedergabe ist bei diesem Werke noch ein grosser Fortschritt gegenüber der Fortsetzung des Moller’schen Werkes zu konstatiren. Vor allem bildete er sich in der Technik der Radirung noch weiter aus. Er beschränkte sich nicht mehr auf einen Grund, sondern brachte mit einem zweiten und dritten Grund mit neuen Strichlagen grosse Mannigfaltigkeit und Tiefe in den Schattentönen hervor, ohne jemals darin die Klarheit zu verlieren oder das kleinste Detail zu vernachlässigen. Er behandelte freilich auf diese Weise seine Radirung mehr wie einen Kupferstich und der Reiz des Ätzens war ihm ziemlich ein Geheimnis geblieben – aber für architektonische Darstellungen war seine Art zu arbeiten gerade die richtige.

Auch die feine Ausführung der Zeichnung selbst und das liebevolle Eingehen auf das kleinste Detail steigerte sich noch in diesem Werke gegenüber dem früheren. Während er damals sehr viel nur in Kontouren gab, ist jetzt alles, selbst konstruktive Details in feinster Art schattirt, wobei er bei der Darstellung des Holzes zu einer ganz eigenartigen Technik gelangte. Er studirte die Fasern des Holzes mit der eingehendsten Beobachtung, wie aus der umstehenden Illustration hervorgeht, und charakterisirte jede Holzfläche mit der ihr eigenen Zeichnung, so dass das Ganze den abwechslungsvollen Reiz dieser tieffarbigen Holzbauten in feinster Weise widergibt.

Aber noch etwas kam hinzu, um eine Reihe Blätter dieses Werkes nicht nur zu guten Aufnahmen, sondern zu wirklichen, in sich abgeschlossenen Kunstwerken zu machen. Wie diese schweizerischen Holzhäuser meist sehr charakteristisch in der Landschaft stehen, wie sie in Form und Farbe harmonisch damit zusammenwirken, so fasste auch Gladbach seine Aufgabe höher und gab die ganze Umgebung in der gleichen liebevollen Erfassung zu den Bauten hinzu. Und wie sich der Weinstock üppig um

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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898. Zürich 1898, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neujahrsblatt_der_Kunstgesellschaft_in_Z%C3%BCrich_f%C3%BCr_1898.pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)