Unbekannt: Ueber die Gemäldeausstellungen der Akademie der bildenden Künste in Dresden, in den Jahren 1769 und 1770 | |
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Bey der menschlichen Gestalt ist es allerdings nöthig, daß der Künstler lange nach der Natur und den Antiken zeichne, ehe er selbst zu erfinden anfange. Was die Zeichnung der Antiken werth sey, das können wir aus einer eben dießmal ausgestellten Kopie eines schönes Amors aus der Churfürstl. Antikengallerie erkennen.
Diese Gallerie besitzt deren unter andern zween von ziemlich ähnlicher Stellung, doch etwas ungleicher Größe. Alles was die Kunstrichter von den sanftfließenden Formen, von dem unmerklichen Uebergange jeglicher völligern Theile an jugendlichen Bildern und der Würde des Ganzen von den Alten rühmen, mögen Sie sich selbst hinzudenken; wenn ich Ihnen den größern nachläßig an einen Stamm gelehnten Amor nur anzeige. Seine gegen die linke Brust zurückgewichene rechte Hand scheint, nach den noch gegen den Daumen zusammen gefügten Fingern zu urtheilen, den Pfeil nur eben fortgeschickt zu haben. Noch hält die hoch empor gehaltne linke Hand den Bogen, und die Richtung des Hauptes, der lächelnde Blick, drücken ein etwas schalkhaftes Vergnügen und die Gewißheit aus, das Ziel zu erreichen. – Unschuldiger aber und kindisch frölicher ist der Blick des kleinern Amors, eines Knabens, dem ich etwan sieben Jahre geben würde. Er hebt die rechte Hand voll Vergnügen über den ihm gelungenen Schuß: Klaß, der nachzeichnende Künstler, schien die Schönheit dieses letztern Marmorbildes so glücklich gefühlt zu haben, daß ich ihm auch die Nachbildung des erstern anvertrauen möchte.
Unbekannt: Ueber die Gemäldeausstellungen der Akademie der bildenden Künste in Dresden, in den Jahren 1769 und 1770. Dyckische Buchhandlung, Leipzig 1772/1773, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neue_Bibliothek_der_sch%C3%B6nen_Wissenschaften_Akademieausstellungen_Dresden_1769_1770.djvu/66&oldid=- (Version vom 3.12.2024)