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Max Valier: Nebelschatten. In: Die Burg, 2. Jahrgang, S. 707–709

Nebelschatten. Erzählung aus den Tiroler Bergen. Von Max Valier, Bozen.


Droben in den Felsen, die über dem Tale sich auftürmen, hausen die wilden Männer. Wenn ein Gewitter im Anzuge ist, dann kommen Sie zusammen, um sich an Spiel und Trinkgelagen gütlich zu tun. Sie haben ein goldenes Kegelspiel, und wenn die großen, schweren Kugeln über die Bahn hinrollen, dann kann man es im Tale drunten hören. Die Leute aber bekreuzen sich, wenn sich das dumpfe Rollen vernehmen läßt, und sagen: „Heute haben die wilden Männer wieder einmal Festtag. Wenn sich nur niemand in ihr Revier verirrt hat, er würde nicht lebend entkommen, denn unerbittlich sind sie an solchen Tagen.“

Ein heißer Augusttag. – Fern am Horizont ballen sich schwarze Wolken zusammen. Ab und zu scheint sie ein leuchtendes Zucken zu durchbeben.

Die Felsenzacken sind von dichtem Dunst eingehüllt, kaum kann man ihre Umrisse erkennen. Ein geheimnisvolles Wehen streicht über das Felsenkar, wie wenn Geister in den Lüften dahin ziehen. Seltsame Töne meint man zu hören, wie das letzte, zitternde Verschweben von Orgeltönen, bald höher, bald wieder tiefer. Nur zuweilen wird es unterbrochen von den dumpfen Kollern eines Steines, der sich droben losgelöst hat und nun, immer mehr Gestein und Geröll mit sich reißend, in die Tiefe rollt. Dann, wenn sein Rollen verhallt ist, tönt wieder das einförmige Sausen des Windes um die Felsenecken. Wenn er stärker weht, bringt er neue Töne hervor. Man glaubt das Plätschern eines Wassers zu vernehmen, erst leise, dann plötzlich deutlich und stark, dann verrauscht es wieder.

Tiefer, heiliger Bergesfriede.

Da plötzlich fällt ein Schuß, und tausendfaches Echo weckt er an den glatten Felsenwänden. Droben, wo die Felsen steil anzusteigen beginnen, erscheint eine Gemse, die in schnellem Lauf über das steile Geröll flieht. Jetzt bleibt sie

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Max Valier: Nebelschatten. In: Die Burg, 2. Jahrgang, S. 707–709. Verlag der Paulinus Druckerei, Trier 1914, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Nebelschatten.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)