Es ist nicht meine Absicht, das Ostjudenproblem[WS 1] historisch, und dann die Gegenwart von allen Seiten beleuchtend, auf den nachfolgenden Seiten zur Darstellung zu bringen. Für mich handelt es sich nicht um eine Arbeit wissenschaftlichen Charakters, wie wohl ich meine Darlegungen und Folgerungen auf gesicherte, wissenschaftliche Grundlagen zu stützen suche. Ich will vielmehr – freilich von solcher festen Basis aus – praktische, unmittelbare Wirkungen erzielen.
Es sollen die folgenden Darleungen dazu beitragen, Millionen von Juden einer erträglichen Zukunft entgegenzuführen; es soll ein Krankheitsherd in Europa beseitigt werden, in dem Millionen von Mitmenschen dahin siechen, und aus dem schwere Gefahren für weitere Gebiete Mittel-Europas sich entwickeln können.
Um unmittelbar zu wirken, um unmittelbare Anteilnahme zu wecken, war daher eine ganz engzusammengefaßte, eine ganz knappe Darstellung geboten, bei einem Thema, das Stoff zu breiterer Ausmalung wohl gestattet hätte. Eine zustimmende oder eine abweisende Beurteilung des Zionismus[WS 2] spielt in die Erörterung des vorliegenden Problems in keiner Weise hinein. Auch die Zionisten sind der Ueberzeugung, daß die Millionen der Ostjuden niemals in dem kleinen Palästina untergebracht werden können. So bleibt die Frage: Wie soll die Not jener, für die eine Auswanderung unmöglich ist, behoben werden.
Anmerkungen (Wikisource)
Paul Nathan: Das Problem der Ostjuden. Philo Verlag und Buchhandlung GmbH, Berlin 1926, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Nathan-Das_Problem_der_Ostjuden_(1926).djvu/3&oldid=- (Version vom 10.4.2021)