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die Auswanderung nach Westen wurde ihnen nicht versperrt, und ebensowenig die Auswanderung nach Osten in die Gebiete bis zum Ural und darüber hinaus bis nach Innerasien und bis zum stillen Ozean. Allein auch diese Freiheit war für die Juden, wie die Verhältnisse einmal lagen, nur scheinbar von Wert.

Die Auswanderung nach dem Westen wurde tatsächlich zu einer Unmöglichkeit, seitdem die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Grenzen so gut wie vollkommen für die Einwanderer jeder Rasse und Konfession gesperrt hatten; seitdem nur noch die sogenannte Quoteneinwanderung gestattet ist, das heißt, seitdem in die Vereinigten Staaten nur eine bestimmte Einwandererzahl zugelassen wird, und diese Zahl ist für die Einwanderer jeder Kategorie, auch der Juden, so gering, daß durch Auswanderung die jüdische Frage in Rußland ganz gewiß nicht gelöst werden kann. Der Geburtenüberschuß ist weit größer als die Abwanderung im besten Falle betragen kann; oder mit anderen Worten, die Ueberfüllung der mit Juden vollgepfropften Westgebiete Rußlands muß noch weiter von Jahr zu Jahr wachsen und weiter wachsen, und damit die Armut dieser schon jetzt trostlosen jüdischen Bevölkerungsmassen sich steigern und weiter steigern.

Natürlich stände es diesen Menschen frei, ihre Schritte nach Osten zu wenden und tiefer nach Rußland hineinzuziehen in einer Binnenwanderung.

Dieser gesunde Trieb ist bei diesen Juden kaum entwickelt. Das Elend, in dem sie jetzt seit fast hundert Jahren und darüber leben, hat ihre Energie und ihre Initiative erheblich, stark herabgemindert. Sie sitzen, wo sie sitzen, und ihre An-

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Paul Nathan: Das Problem der Ostjuden. Philo Verlag und Buchhandlung GmbH, Berlin 1926, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Nathan-Das_Problem_der_Ostjuden_(1926).djvu/25&oldid=- (Version vom 1.8.2018)