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Stelle. Es ist nicht meine Absicht, die Prinzipien, auf denen der Sowjet-Staat aufgebaut ist, einer Kritik zu unterziehen; sie zu billigen oder zu mißbilligen. Ich wünsche die Lage der Ostjuden zu schildern, wie sie zur Zeit sich darstellt, und auf jene Wege hinzuweisen, die sich heute bereits einschlagen lassen, um das jüdische Elend im Osten zu mildern und nach Möglichkeit zu beseitigen.

Soweit ich die russischen Verhältnisse heute überblicke, scheint mir der Widerstand gegen eine Lockerung der religiösen Einschränkungen des orthodoxen Judentums in Rußland stärker von den Juden in der Regierung als von den Nichtjuden der politisch maßgebenden Kreise auszugehen. Ob jene Juden in der Regierung in ihrem religiösen Radikalismus nicht schließlich zu anderen Anschauungen sich bekehren werden, und ob nicht die Nicht-Juden in der Regierung sich der Ueberzeugung - sie hat schon heute ihre Vertreter - immer stärker zuneigen werden, daß die Verwirklichung des Sowjet-Ideals mit religiösen Fragen, mit Gottgläubigkeit in irgendeiner Form, und mit Atheismus und Adeismus gar nichts zu tun hat, - das muß abgewartet werden.

Es ist jedenfalls nicht einzusehen, warum ein orthodoxer Jude und ein orthodoxer Christ nicht gleichzeitig ein glühender Verehrer des Sowjet-Ideals sein sollte. In den Ursprüngen des Judentums stecken sehr starke sozialistisch-kommunistische Elemente, und das Christentum hat Zeiten mit ausgeprägt kommunistischen Anschauungen durchgemacht. Es gibt eine Reihe von Kirchenvätern und berühmten Lehrern des Katholicismus, deren Aussprüche jedes öffentliche Gebäude der Sowjet-Staaten als Inschrift schmücken könnten.

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Paul Nathan: Das Problem der Ostjuden. Philo Verlag und Buchhandlung GmbH, Berlin 1926, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Nathan-Das_Problem_der_Ostjuden_(1926).djvu/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)