Fast zu derselben Zeit, in welcher das Abendland nach langem Schlafe ein neuer Geist der Forschung zu durchwehen begann und Deutschland sich anschickte, die geistigen Fesseln Roms zu brechen, fingen auch im fernen Osten, im alten Wunderlande Indien, die Geister sich aufs neue zu regen an und auch dort wurde, nur vierzehn Jahre vor Luther, ein Mann geboren, der dem erstorbenen, in todten Gözendienst versunkenen religiösen Leben einen neuen Impuls gegeben hat: es ist dies Nānak, der Stifter der Sikh-Religion, dessen Name noch heutigen Tages von dem kriegerischen Volke des Panjāb mit der grössten Ehrfurcht genannt wird. Da über seine Persönlichkeit und sein Leben unter uns noch so wenig bekannt ist und das, was englische Schriftsteller darüber aus den späteren Sikh-Traditionen mitgetheilt haben, höchst unzuverlässig ist, so erlaube ich mir, meine hochzuverehrende Herren, heute Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Mann hinzulenken, indem ich Ihnen einen kurzen Umriss seines Lebens und Wirkens vorzuführen versuchen will, den ich direkt aus den Originalquellen gezogen habe.
Nach der grossen Militär-Revolution in Indien im Jahre 1857, die Ihnen noch wohl im Gedächtnisse sein wird und deren Schrecken und Greuelthaten ich als Augenzeuge theilweise selbst miterlebt habe, wurde die öffentliche Aufmerksamkeit wieder vorwiegend auf die tapferen Sikhs hingelenkt. Denn die Sikh-Regimenter waren es ja hauptsächlich gewesen, welche durch ihre unerschütterliche Treue und Tapferkeit den grossen Aufstand bewältigen halfen und
E. Trumpp: Nanak, der Stifter der Sikh-Religion., München 1876, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Nanak_der_Stifter_der_Sikh-Religion.djvu/07&oldid=- (Version vom 1.8.2018)