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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111

Am nächsten Abend saß Margreth schon seit einer Stunde mit ihrem Rocken vor der Thür und wartete auf ihren Knaben. Es war die erste Nacht, die sie zugebracht hatte, ohne den Athem ihres Kindes neben sich zu hören, und Friedrich kam immer noch nicht. Sie war ärgerlich und ängstlich und wußte, daß sie beides ohne Grund war. Die Uhr im Thurm schlug sieben, das Vieh kehrte heim; er war noch immer nicht da und sie mußte aufstehen, um nach den Kühen zu schauen. Als sie wieder in die dunkle Küche trat, stand Friedrich am Herde; er hatte sich vorn übergebeugt und wärmte die Hände an den Kohlen. Der Schein spielte auf seinen Zügen und gab ihnen ein widriges Ansehen von Magerkeit und ängstlichem Zucken. Margreth blieb in der Tennenthür stehen, so seltsam verändert kam ihr das Kind vor.

„Friedrich, wie geht’s dem Ohm?“ – Der Knabe murmelte einige unverständliche Worte und drängte sich dicht an die Feuermauer. – „Friedrich, hast du das Reden verlernt? Junge, thu’ das Maul auf! du weißt ja doch, daß ich auf dem rechten Ohr nicht gut höre.“ – Das Kind erhob seine Stimme und gerieth dermaßen in Stammeln, daß Margreth es um nichts mehr begriff. – „Was sagst du? einen Gruß von Meister Semmler? wieder fort? wohin? die Kühe sind schon zu Hause. Verfluchter Junge, ich kann dich nicht verstehen. Wart’, ich muß einmal sehen, ob du keine Zunge im Munde hast!“ – Sie trat heftig einige Schritte vor. Das Kind sah zu ihr auf, mit dem Jammerblick eines armen, halbwüchsigen Hundes, der Schildwacht stehen lernt, und begann in der Angst mit den Füßen zu stampfen und den Rücken an der Feuermauer zu reiben.

Margreth stand still; ihre Blicke wurden ängstlich. Der Knabe erschien ihr wie zusammengeschrumpft, auch seine Kleider waren nicht dieselben, nein, das war ihr Kind nicht! und dennoch – „Friedrich, Friedrich!“ rief sie.

In der Schlafkammer klappte eine Schrankthür und der Gerufene trat hervor, in der einen Hand eine sogenannte Holzschenvioline, d. h. einen alten Holzschuh, mit drei bis vier zerschabten Geigensaiten überspannt, in der andern einen Bogen, ganz des Instruments würdig. So ging er gerade auf sein verkümmertes Spiegelbild zu, seinerseits mit einer Haltung bewußter Würde und Selbstständigkeit, die in diesem Augenblicke den Unterschied zwischen beiden sonst merkwürdig ähnlichen Knaben stark hervortreten ließ.

„Da, Johannes!“ sagte er und reichte ihm mit einer Gönnermiene das Kunstwerk; „da ist die Violine, die

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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Morgenblatt_fuer_gebildete_Leser_1842_398.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)