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es war kein Rufen, es war nur ein Flüstern gewesen; dennoch im nämlichen Moment richtet die Schlummernde den Kopf empor; sie schaut, noch halb im Traum, nach mir herüber, der ich bewegungslos da stehe; nun aber, wie durch Engelshand im Innersten erweckt, steht sie auf ihren Füßen, schwankt – und liegt an meinem Halse.

So standen wir noch immer fest umschlungen, als es im Hof laut und lauter zu werden begann. Tosende Stimmen durcheinander, ein Eilen und ein Rennen hin und her – das Alles hörte ich und hörte nichts von Allem. Jetzt kommt man heran durch die Zimmer, jetzt reißen sie die letzte Thür auf – ein allgemeiner Ausruf des Erstaunens! Das Mädchen wie in Todesangst drückt mich gewaltsamer an sich, dann sinkt sie erschaudernd plötzlich zusammen und fremde Hände fassen die Ohnmächtige auf. Vor meinen Augen wird es Nacht; ich fühle mich unsanft hüben und drüben bei’m Arme ergriffen und wie im Sturm hinweggeführt nach einem finstern Gange, dann abwärts einige Stufen, wo eine Thür sich öffnet und alsbald donnernd hinter mir zuschlägt.

Ich hatte mich in kurzer Zeit wieder gesammelt. Es war ein förmliches Gefängniß, worin ich mich nunmehr befand, dunkel und moder-feucht und kalt. Die Sichel, von dem Regen angeschwollen, braus’te

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_079.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)