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an, dem Distelfinken zum Frühstück. Ich hatte in meiner Verwirrung nach einem Buch gegriffen (ein Kochbuch war’s, wenn ich nicht irre): dahinter wühlten meine Blicke sich schnell durch ein Rudel von tausend Gedanken hindurch. Reiß’ ich aus? Halt’ ich Stand? Vielleicht wäre Ersteres möglich gewesen, der beiden Männer hätt’ ich mich zur Noth erwehrt; allein was half mir eine kurze Flucht? Und in der That, ich fühlte mich bereits durch die Nothwendigkeit erleichtert, endlich ein offenes Geständniß abzulegen. Dessenungeachtet war mein Zustand fürchterlich. Nicht die Nähe meiner schmachvollen Verhaftung, nicht die Sorge, wie ich mich in einem so äußerst verwickelten Falle von allem Verdacht würde reinigen können – nein, einzig der Gedanke an Josephe war’s, an Aennchen, was mich in diesen Augenblicken fast wahnsinnig machte, der unerträgliche Schmerz, dieses Mädchen, sie sei nun wer sie wolle, als die Verlobte eines Andern zu denken, und eines Menschen zwar, welcher das schadenfrohe Werkzeug meiner Schmach, meines Verderbens werden sollte! Wußte sie etwa selbst um den verfluchten Plan? Unmöglich! doch für mein Gefühl, für meine Leidenschaft, indem ich sie mit dem verhaßten Kerl in Eins zusammenwarf, war sie die schändlichste Verrätherin. Liebe, Verachtung, Eifersucht gohren im Aufruhr aller meiner Sinne dermaßen

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_077.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)