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Hie und da dröhnt in diese weiße Stille eine Salve hinein. Das sind unsere Forts in der Richtung auf Kruhel wielki. Es scheint aber, daß die Russen noch nicht antworten. Sie liegen ruhig eingegraben und greifen nicht an. Die 70 000 Toten jenes grauenhaften Sturmes vom Oktober sind ihrem Bewußtsein noch zu lebendig.

Nur die Bahnen haben sie uns abgeschnitten, und so sind wir seit 14 Tagen wieder ohne Post. Man spricht davon, daß man in den nächsten Tagen einen Versuch mit einem Postauto wagen will oder eventuell einen Teil der wichtigsten Post mit Aeroplan befördern, wie es während der ersten Belagerung schon ab und zu geschah. Gestern konnte ich eine Karte an Mama einem Fliegeroffizier mitgeben, und es ist mir eine große Beruhigung, daß sie nun nicht so lange ohne Nachricht bleiben wird.

Gestern feierten wir meinen Geburtstag. Es war ein so überreicher Geburtstag, daß man sich wahrhaftig nicht in einer belagerten Festung hätte vermuten können. Mein Liebster trug in verdoppelter Liebe und Treue alles zusammen, was mir Freude machen konnte, um mir über die fehlenden eigenen vier Wände und über das Ausbleiben der Post hinwegzuhelfen.

Und so war es ein guter, schöner Kriegsgeburtstag, voll Dankbarkeit, daß uns Gott beisammen sein läßt in dieser schweren Zeit.

Am Morgen weckten mich Salven, und ich meinte im Halbschlaf, es seien die Kaisersalven, die vom Kalvarienberg in Marburg herunterbrummen, und die mich an so vielen Geburtstagen daheim geweckt hatten.

Nur war ihre Stimme schärfer und eindringlicher.

Ein ernster Gruß von treuen Wächtern!


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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/89&oldid=- (Version vom 9.12.2016)